Arno Reinfrank

Galaktisches Signal

Arno Reinfrank für den Unterricht

Ins Astronomenblickfeld trat Aquilas Name
- ein Stern-Eiland im Meer der Milchstraße -
In unsren Tagen mit dem Objekt SS Vier Drei Drei,
für das kein Pulsar und kein Supernova-Himmelskörper
den Wissenschaftlern Anhaltspunkte bietet.

So wie der Pfiff der Schnellzug-Lok,
wenn man am Bahndamm wartend steht,
beim Näherkommen anders klingt als beim Entfliehen,
verschiebt sich auch im Teleskop das Wellenband
zur roten Seite oder blauen.

Doch diese Rot- und Blau-Verschiebung zeigt
Sich gleichzeitig und widerspricht sich somit selbst,
weshalb man auf z w e i Leuchtgasnadeln schließt,
die sich in wirbelnden Perioden fortbewegen.
Ergänzt wird Flucht durch Näherkommen.

Das will gedeutet sein, dass Lichtsekunden
Im Kosmos auseinander- und zusammenstreben
Als dialektisches Paket stellarer Massen.
Das will verglichen sein mit unsren Tagen,
weil darin Hoffnung liegt für unsre Welt.

 

Arno Reinfrank
Bruchstellen der Sicherheit. Poesie der Fakten 5.

Interpretation

Das Gedicht besteht aus vier Strophen, von denen die ersten beiden aus je einem Satz, die beiden letzten aus je zwei Sätzen gebildet sind. Am Anfang steht die Beschreibung eines astronomischen Phänomens (siehe Kommentar). Am Schluss wird es als Signal verstanden und gedeutet.

Arno Reinfrank kannte den vom russischen Forscher J.W. Pawlow eingeführten Terminus "Signalsystem", womit die komplexe neuronale Struktur verstanden wird, die in unserer Beziehung zur Umwelt im Spiel ist. Die Sprache wird von ihm als Signal der Signale verstanden, wodurch Erkenntnis in abstrakter Form möglich ist. Reinfrank wendet in seiner faktischen Poesie die naturwissenschaftliche Erkenntnis an auf die gesellschaftliche Situation der Zeit, ein Vergleich "mit unsren Tagen". Beide Bereiche, die Vorgänge im Kosmos der Gestirne und im Mikrokosmos der Menschen, existieren nicht duralistisch in zwei völlig von einander unabhängigen Welten, sondern sind in Wechselwirkung dialektisch auf einander bezogen. Das ist es, was gedeutet sein will.

ECKHART PILICK

 

Kommentar

Wenn Astronomen neue Objekte mit exotischen Eigenschaften entdecken, ist die Aufregung gewöhnlich sehr groß:

Wie kann es zu diesen außergewöhnlichen Erscheinungen kommen? 

Ist unsere bekannte Physik hinreichend, um die neuen Phänomene zu erklären?
Muss die Physik umgeschrieben werden? Besorgnis dieser Art ist auch deutlich in Arno Reinfranks Gedicht zu spüren.

Denken wir an die Entdeckung der Quasare in den 1960er Jahren. Dies waren Milliarden Lichtjahre entfernte, im radiofrequenten Bereich intensiv strahlende Objekte, deren Strahlungsintensität so groß war, dass man sie in der großen Entfernung überhaupt nicht hätte beobachten dürfen. Die Tatsache, dass man sie sah, ließ auf eine extrem ungewöhnliche Energieproduktion schließen, die durch keinen bis dahin bekannten Prozess erklärbar war. Erst einige Zeit nach der Entdeckung kam die schlichte Erklärung, dass die Energie nicht gleichmäßig in alle Richtungen abgestrahlt wird, wie man es bis dahin von astronomischen Objekten gewohnt war, sondern, ähnlich wie bei einem Leuchtturm, in Form von stark gebündelten Strahlen, welche zu beiden Seiten des Quasars nahe der Rotationsachse austraten. Der Effekt war die natürliche Erklärung für die außergewöhnliche Strahlungsleistung, die eben dann auftrat, wenn einer dieser intensiven Strahlen in unsere Richtung zeigte.

Wie verhält es sich mit dem von Arno Reinfrank beschriebenen Objekt SS433 im Sternbild Adler (Aquila)?

Als verwirrende Besonderheit beschreibt er, wie gleichzeitig Rot- und Blauverschiebung in ein und demselben Objekt beobachtet wird. Dies ist allerdings weder neu noch ungewöhnlich. Nimmt man beispielsweise mit einem Spektrografen ein Bild der Sonnenoberfläche auf und legt den Spektrografenspalt über einen großen Sonnenfleck, dann erhält man Spektrallinien, die nicht wie gewohnt gerade sind, sondern Ausbeulungen zu beiden Seiten aufweisen. Der Grund ist, dass dies eine Zone turbulenter Auf- und Abwärtsbewegung von Sonnenmaterie ist. Teilweise strömt Materie von uns weg, das Licht wird rotverschoben, andere Bereiche strömen auf uns zu, was eine Blauverschiebung zur Folge hat.

Das ungewöhnliche bei SS433 ist die Stärke der Rotverschiebung, die auf derart turbulente Prozesse schließen lässt, dass sie das Objekt zerreißen müssten. Doch auch hier fanden Theoretiker bald des Rätsels Lösung: Es handelt sich um die extreme Massenkonzentration entweder eines Neutronensterns oder eines Schwarzen Lochs, die von einem ganz normalen Stern der Spektralklasse A umkreist wird.

Aufgrund der starken Massenanziehung zieht die Massenkonzentration Sternmaterie von der Oberfläche des Sterns ab, beschleunigt sie extrem und sammelt sie auf einer das massenreiche Objekt umkreisende Scheibe. Dabei wird die Materie so stark aufgeheizt, dass sie Strahlung über einen weiten Spektralbereich, hin bis zur Gammastrahlung abgibt.

Ein Teil verfehlt jedoch die Scheibe und wird u. a. mit Hilfe von elektrischen und magnetischen Feldern zu einem Strahlstrom gebündelt, der, ähnlich wie in unserem Quasarbeispiel, nahe der Rotationsachse zu beiden Seiten des Objekts in den Raum schießt. Die Materie wird hierbei bis auf etwa ein Drittel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt!

Läuft einer dieser Strahlströme schräg auf uns zu, beobachten wir, da sich das Material sehr schnell auf uns zu bewegt, eine erhebliche Blauverschiebung, bei dem entgegen gesetzten von uns weglaufenden Strahl jedoch eine ebenso starke Rotverschiebung. Beides kann also durchaus gleichzeitig beobachtet werden. Es handelt sich um einen dialektischen, keineswegs aber logischen Widerspruch!

Reinfrank mahnt uns, aus diesem Beispiel für unser Erdenleben zu lernen, dass Widersprüchliches und scheinbar Unversöhnliches durchaus zusammen gehen kann. Es gilt dabei, einen kühlen Kopf zu bewahren, die Dinge nüchtern zu analysieren und kreative Lösungen für den Umgang damit zu finden. Darin liegt die Hoffnung unserer Tage.

STEFAN HAHNE