Arno-Reinfrank-Jugendpreis 2023

Geist und Glast

Er sitzt im fahlen Morgenlicht,
als silbergrau Auroras Schein;
In seinem alten Sessel sitzt
nun der Professor ganz allein.
Verwittert hat die schwere Nacht
kein Aug' der Alte zugetan.
Hat ernstlich sinnend nachgedacht—
die heil'ge Schrift ihm nebenan.

„Erlösung“, zischt er da, „das kann
nur dem Azure Trugbild stehn!“
Ein Blick!—ein letzter noch—und dann
sieht man das Buch zu Boden gehn.
Zu weit ist ihm der Lohenbogen;
Zu fern des Äthers Widerhall.
Kein Paradies weiß er dort oben;
Kein Reich als auf dem Erdenball.

So vieles, was in dutzend Jahren
Dekan, Magister einst gelehrt.
Bald konnte er die Zukunft sagen,
hat Wetter, Schöpfung dann erklärt—
ersetzt Gefühl durch Nervenstrom,
den Zufall und den Tod bewiesen;
Hat Zauber, Wunder, Emotion—
die Götter selbst vom Thron vertrieben.

„Barmherzigkeit“, raunt der Dekan;
Die Stirne glühend: „Ha!—Allein
scharfen Verstandes Tugend kann
der Zukunft Fortschrittsbote sein!
Und—wie der Mensch so licht und hehr
Moral und Ethik sich gestellt;
Kommt Not, und weite Strecke er
ins tiefe Loch der Wahrheit fällt!“

Und dumpfer noch! mit matten Blicken:
„Ergrimmt ob der Moderne Glast!“
Gar im Begriff, in Schlaf zu nicken:
„Ihr Wissen endlos! ohne Rast!“
„Erlösung“—weiß er nun final—
„kann nur in der Maschine sein!“
Der Alte gähnt, gähnt noch einmal,
da nickt in seinem Stuhl er ein.

Das Netz von schwarzen Venen hielt
der Hochgelehrte stets bedeckt.
Alters Gefleck am Halse liegt
durch edles Seidentuch versteckt.
Verstört ob seiner Sterblichkeit,
als dünner ward sein Jugendhaar,
verdammt er Fleisch und Menschlichkeit,
wie es dann ganz verschwunden war.

So saß und sann er noch im Traum
des künstlichen Verstandes Geist;
Aus Staub und Licht geschaffen kaum
und unberührt vom Lauf der Zeit.
Der dem Professor all die Jahr'
Moral, Gewissen, Ethos, stund';
Was Technik und was Mensch noch war,
das ist ihm selber oft nicht kund.

So hat der Alte nie geschaut,
was die Maschinen ihm gemacht.
Hat ihrem Urteil blind vertraut—
Doch schlägt sein Herz denselben Takt?
Dasselbe Herz, das er verloren
an toten Lebens Angesicht.
Erlösung mag ein jeder borgen—
Doch so wie er will ich es nicht.