Arno Reinfrank

Arno-Reinfrank-Jugendpreis 2015

Jeanette Koch-Reinfrank: Preisrede

Jeanette Koch-Reinfrank
Jeanette Koch-Reinfrank

Jugend-Preis-Verleihung
Jeanette Koch-Reinfrank
Arno-Reinfrank-Jugendpreis 2015 im Johannes Ronge Haus, Wörthstrasse 6a, Ludwigshafen am Rhein
Montag 14 September 2015

 

 



Immer wenn ich vor einem Publikum sprechen soll, bin ich nervös. Oft habe ich
Lampenfieber, besonders dann, wenn ich eine Rede auf Deutsch halten soll. Geht Euch das auch so? Dann bin ich beruhigt, denn ihr werdet mich mit Sympathie und Empathie anhören, und dann beruhigt man sich.

Als ich das erste Mal nach Deutschland kam, hatte ich immer Angst, mich zu blamieren: Wegen meiner Aussprache, weil ich so viele Fehler mache und die Nuancen und Feinheiten des Ausdrucks nicht verstanden habe und nicht richtig
anwenden konnte.

Ich will mich kurz fassen, weil ich so neugierig bin auf Eure Texte und Gedichte
zum Thema Natur und Empathie. Habt keine Angst, wenn Ihr auch Lampenfieber habt. Ihr seid damit in guter Gesellschaft. Große Künstler litten darunter, und zwar nicht erst zu Anfang ihrer Karriere, sondern während ihrer ganzen Bühnenlaufbahn hindurch. Der berühmte Komiker aus Bayern, Karl Falentin (er legte Wert darauf, dass man seinen so ausspricht: Falentin), trat nur auf, wenn hinter dem Vorhang jemand mit einem Glas Wasser stand, weil er Angst hatte, vor lauter Aufregung ohnmächtig zuwerden. Aber natürlich ist das nie passiert.

Tony Hancock, ein englischer Schauspieler und Komödiant, hatte immer solche Angst, vor das Publikum zu treten, dass man ihm erst einen Witz erzählen musste, und wenn er dann lachte, schubste man ihn schnell auf die Bühne.

Manchmal geht natürlich einiges schief. Bei einer TOSCA-Aufführung im Opernhaus in Nordengland passierte Folgendes:

In der letzten Szene stürzt sich Tosca bekanntlich - während der Vorhang fällt - von der Engelsburg in den Tod. Damit sie sich unten beim Sprung nicht weh tut, hatten ihr die Bühnenarbeiter eine weiche Sprungfedermatratze ausgelegt, aber der Vorhang wurde zu spät zugezogen, und das Publikum wurde nun Zeuge, wie die unglückliche/wieder hochschnellte/wie von einem Trampolin. Die Tragödie hatte sich in einer Sekunde in eine Komödie verwandelt.

Bei einer Vorstellung von Shakespeares "Romeo und Julia" in London ruft Julia:
"Romeo, Romeo, wo bist du Romeo" Da kam eine Stimme aus dem Zuschauerraum:
"Da hinten, Mädchen, da, unter dem Balkon!"

Und an einer anderen Steile, wo Julia fragt: Where is my father and my mother?" - "Wo mag mein Vater, meine Mutter sein?" kam die Antwort von einer Zuschauerin, wahrscheinlich die Mutter der Schauspielerin: "Hier, Liebling, hier im Parkett Reihe 17."

Ihr seht, es kann immer viel passieren, Lustiges und Peinliches, auf der Bühne und davor. Aber: Das Publikum ist dankbar - nicht aus Schadenfreude, sondern aus Empathie -, und Ihr sollt keine Hemmungen haben, wenn Ihr gleich hier oben steht.


Man braucht für einen öffentlichen Auftritt einige Voraussetzungen. Mut oder ein paar Tricks sind nötig, um sich selbst zu überlisten. Heute kommuniziert
man meistens online, bei Twitter oder Facebook - man schickt sich gegenseitig SMS oder Emails. Dabei hat man kein Lampenfieber. Auf dem Podium zu stehen und sich und seine Arbeiten vor fremden Leuten zu präsentieren, das ist etwas ganz Anderes. Selbstbewusstsein und Courage sind dazu erforderlich.

Auch dafür gibt es viele Beispiele aus dem Theater. Mit ein bisschen Routine kann man auch Pannen meistern. Vielleicht kennt Ihr die Oper "Lohengrin"? Der Held entschwindet am Ende auf einem Kahn, der von einem Schwan gezogen wird. Leider hatte der Arbeiter unter der Bühne nicht aufgepasst und mit seiner Kurbel den Schwan mit dem Kahn abfahren lassen, bevor der Sänger einsteigen konnte. Was sollte er jetzt machen? Die ganze Oper, die ganze Geschichte war sinnlos ohne diesen dramatischen Schluss! Der Schweiß brach ihm aus, er sah das Boot im Hintergrund verschwinden. Die Bühnenarbeiter konnten ihn in seiner Verzweiflung nicht sehen aber hören. Also brüllte er mit kräftiger Stimme: "Wann fährt der nächste Schwan?"

Ihr könnt davon ausgehen, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer meistens wohlwollend sind. Die sind nämlich froh, dass sie nicht selbst hier oben stehen müssen. Und wenn etwas schief geht, applaudieren sie trotzdem. Denn sie spüren, der oder die da oben hat sich Mühe gegeben, hat Engagement und Überzeugungskraft.

Ein berühmter Dirigent hat mal in einer Orchesterprobe gebrüllt: "Die Hörner sind viel zu laut!" Als man ihm sagte: " Maestro, die Hornisten sind noch gar nicht da", rief er: "Aber wenn sie gleich hier sein werden, dann sind sie viel zu laut! "Der hatte Selbstbewusstsein!

Wichtig ist darum, dass Ihr beim Vorlesen immer wieder den Augenkontakt mit den Zuhörern sucht. Ihr dürft ruhig Pausen machen beim Lesen.

Das lernt man alles nicht sofort. Darum müsst Ihr am Anfang vielleicht mutiger sein als später. Nehmt es nicht so schwer, wenn es nicht gleich beim ersten oder zweiten Mal klappt oder wenn Euch ein Fehler unterläuft.

Ich freue mich, wenn hier auch Prosa oder Gedichte in deutscher Sprache vorgetragen werden von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund. Mein Mann Arno Reinfrank, der hier geboren wurde und aufgewachsen ist, hat 45 Jahre in England gelebt, aber nur einmal ein Gedicht selber ins Englische übersetzt. Er gab ihm den Titel "Vorübergehende Siege" und übersetzte ihn mit "Bygoing Victories". Ein feiner gebildeter Engländer sagte in gönnerhaft-herablassendem Ton - Arno hasste das! -:
"Da haben Sie ja für Ihr Gedicht einen interessanten Titel gewählt, Arno."
Arno fragte - sofort misstrauisch geworden -:"Was meinen Sie damit?"
Und der höfliche Brite antwortete: Weil es das Wort "bygoing" im Englischen gar nicht gibt."

Seitdem hat Arno niemals mehr in Englisch gedichtet, da er sich nicht zutraute, die treffenden Wendungen und Nuancen zu finden für das, was er ausdrücken wollte. In einer anderen als der Muttersprache zu dichten - das ist eine beachtliche Leistung!

Zu schreiben ist eine Sache, es richtig vorzutragen, eine ganz andere. Manche können aus einem Telefonbuch vorlesen, und es hört sich an wie Poesie. Mein Mann Arno konnte seine Verse vorlesen wie kaum ein anderer. Er hatte den richtigen Atem für seine Verse, er konnte aus den Buchstaben und Sätzen beim Lesen die richtige Melodie erzeugen.

Also: Viel Glück! Gutes Gelingen! Und viel Spaß!
Jeanette Koch-Reinfrank