Arno Reinfrank

Arno-Reinfrank-Jugendpreis 2017

Jeanette Koch-Reinfrank

Jeanette Koch-Reinfrank
Jeanette Koch-Reinfrank

Jugend-Preis-Verleihung
Jeanette Koch-Reinfrank
Arno-Reinfrank-Jugendpreis 2017

"Neugier oder Misstrauen - wie begegnen wir dem Fremden?" Das war das Motto des diesjährigen Wettbewerbs um den Arno Reinfrank Jugendpreis 2017. Wir Menschen haben einen uralten Überlebensinstinkt, mit dem wir allem Neuen und Unbekannten mit Vorsicht zu begegnen, denn es könnte ja für uns gefährlich sein. Genau so alt sind unsere Neugier und Entdeckerlust dem Neuen, dem Anderen, dem Fremden gegenüber. Denn das macht uns überhaupt erst zu Menschen, zu lernenden Wesen. Alle Wissenschaft gründet auf diesem Streben: herauszufinden, warum etwas so ist, wie es ist, und wie es funktioniert. Auch mein Mann Arno Reinfrank war von dieser Neugier durchdrungen und thematisierte wissenschaftliche Erkenntnisse in seiner "Poesie der Fakten".

Arno hatte selber erfahren, was es bedeutet, ein Fremder zu sein. Er hatte Deutschland verlassen, weil er das Gefühl hatte, seine Meinung hier nicht frei äußern zu können. Er war zu uns nach England gekommen, wo man ihm vielleicht manchmal misstrauisch begegnete. Denn er war ein Deutscher und der letzte Krieg noch nicht lange vorbei. Ihr wißt ja, daß Deutsche und Engländer damals Feinde waren. Doch seine guten Erfahrungen waren stärker: England wurde seine neue Heimat. Und dort haben wir uns auch kennen und lieben gelernt. Auch mir selber muss er einmal fremd und unbekannt gewesen sein. Zum Glück konnte ich ihm mit Neugier und Aufgeschlossenheit begegnen und gar nicht mit Mißtrauen.

Darum ist es für mich auch so schmerzhaft, dass England mit dem Brexit beschlossen hat, aus der Europäische Union auszutreten. Viele EU-Bürger werden auch England verlassen. Es werden viel weniger Fremde in unser Land kommen. Die Politik der EU hat 70 Jahre Frieden für mein Land und für Europa gebracht, der Brexit aber ermutigt bei einigen Feindschaft gegen Ausländer. Wie jetzt in Spanien oder Norditalien gibt es auch bei uns viele Stimmen, die die Trennung wollen und nicht die Vereinigung. Ich liebe den europäischen Gedanken. Und ich versuche, mehr Zeit hier in Deutschland und besonders in der Pfalz zu verbringen. Die Vorstellung, dass das Reisen schwieriger werden und mein EU Pass nicht mehr gültig sein und dass man mich misstrauisch als Fremde betrachten könnte, das macht mich traurig.

Unsere heutige Preisverleihung ist Teil der Ludwigshafener Aktion-stage gegen rechte Gewalt und Rassismus. Darum war es uns wichtig, Euch allen die Gelegenheit zu geben, sich mit dieser Spannung zwischen Offenheit einerseits und Ablehnung gegenüber Fremden und Fremdem andererseits auseinander zu setzen. Wie erleben junge Menschen die Begegnung mit dem Fremden in Ludwigshafen, der Heimat von Arno Reinfrank? Fühlen sie sich vielleicht selbst als Fremde, weil sie auf der Suche nach Orientierung und ihrem Platz im Leben sind? Weil ihre Wurzeln nicht in Ludwigshafen liegen? Oder weil sie selbst schon Erfahrungen mit Ausgrenzung aufgrund ihrer Herkunft gemacht haben? Ich bin neugierig auf Eure Antwort!

164 Menschen sind hier in Ludwigshafen in der Zeit der Nazi-Diktatur ihrer Freiheit beraubt worden. Man hat sie zu Fremden erklärt, obwohl ihre Familien oft schon seit vielen Generationen im Lande lebten. 100 Kinder wurden von ihren Eltern getrennt, von ihrer Wohnung, von ihren Spielsachen. Man transportierte sie in Lager, und nur ein einziges Kind hat dort überlebt. So etwas darf nie wieder geschehen! Es ist deshalb wichtig, dass wir uns immer wieder selbst fragen, wie wir auf Neues reagieren, vor allem, wie wir Menschen begegnen, die fremdartig aussehen mögen, vielleicht anders reagieren, als wir es gewohnt sind.

Arno Reinfrank war sechs Jahre alt, da wusste er schon, dass er einmal Schriftsteller werden wollte. Aber es war ein langer Weg, bis er vom Schreiben leben konnte. Als Journalist hat er sein Brot verdient, aber immer schon Gedichte und Prosa geschrieben, und auch immer einen kleinen Verlag dafür gefunden. Erste Gedichte von ihm wurden veröffentlicht, da war er erst 16 Jahre alt. Schreiben ist eine Kunst, die viel Übung und Liebe zur Sprache erfordert, natürlich auch einen großen Wortschatz und Neugier auf Welt und Menschen. Auch Fremdsprachen zu lernen hilft. Andere Sprachen sind nicht nur andere Laute, nein, sie zeigen uns eine andere Sicht auf die Welt und die Dinge. Man kann dadurch lernen, die Dinge um uns herum mit andern Augen zu sehen.

Ich kenne in meiner Sprache für die verschiedenen Arten zu Lächeln z.b. die Wörter to smile, to grin, to smirk, to sneer, to simper, im Deutschen: lächeln, grinsen, feixen, schmunzeln. Oder gibt es noch mehr? Die Indonesier haben dreimal so viele Ausdrücke dafür, sie sehen also auch mehr. Denn ohne Begriffe kann man nicht begreifen.

Wenn man neugierig auf das Neue ist, entstehen literarische Texte, die keine Nabelschau betreiben, die sich nicht nur mit den eigenen Gefühlen beschäftigen, sondern sich vorurteilslos auf die Welt und die Mitmenschen einlassen. Daran wächst unsere Persönlichkeit und daraus ergeben sich wunderbare Begegnungen.

Auch wer von Euch dieses Mal nicht zu den Gewinnern gehört, alle haben gewonnen - durch ihre Arbeit mit der Sprache. Ihr habt es für euch selbst getan. Und ich danke euch allen von Herzen dafür!