Arno Reinfrank

Arno-Reinfrank-Literaturpreis 2024

Grußwort von Jeanette Koch, Stifterin des Arno-Reinfrank-Literaturpreises

Jeanette Koch-Reinfrank, Stifterin|© Stadt Speyer / Foto: Klaus Venus
Jeanette Koch-Reinfrank, Stifterin
© Stadt Speyer / Foto: Klaus Venus

Sehr geehrte Bürgermeisterin Frau Kabs, liebe Frau Kampmann, Ladies and Gentlemen,

in der Pfalz und vor allem hier in Speyer zu sein, war und ist mir immer eine große Freude – und heute ganz besonders. Denn welch eine Koinzidenz!
Heute, am 6. März, wird zum siebten Mal der Literatur-Preis verliehen in Erinnerung an Arno Reinfrank, dessen neunzigsten Geburtstag wir in diesem Jahr begehen – vielleicht sogar wieder mit einer Ausstellung über sein Leben und Werk?
Und gestern, am 5. März, wurde in der Deutschen Nationalbibliothek eine Ausstellung zum neunzigsten Geburtstag des PEN Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland eröffnet, dessen Generalsekretär mein Mann ein Jahrzehnt lang gewesen ist.

Gerade einmal volljährig (das wurde man in Deutschland damals erst mit 21), ging er 1955 ins selbst auferlegte Exil nach Großbritannien. Die restriktive Politik Adenauers nannte er, unter anderem, als Beweggrund. In London hat er gründlich das Leben eines Migranten im Ausland kennengelernt: elende Jobs und immer wieder drangsaliert und behelligt durch die Ausländer-Behörde in Croydon.
Als an einem heißen Sommertag ein Beamter zwecks Kontrolle bei ihm in der Pattison Road erschien, hatte Arno vorsorglich einen geruchsintensiven Camembert ins Zimmer gestellt. Die Sonnenstrahlen verwandelten ihn, und als eine stinkende Brühe lief der Käse bald davon. Der Kontrolleur ebenso.

Dennoch wuchs in ihm eine kritisch-distanzierte Liebe zu England, wie er sie auch zu seiner deutschen Heimat aufrecht erhielt.

Es gibt, glaube ich, keinen Plural von Heimat? Oder kann man sagen: zwei Heimaten? Nein, das hört sich auch für meine Ohren falsch an, obwohl man doch von einer zweiten Heimat spricht. Egal, mein Mann konnte jedenfalls beide miteinander verbinden. Allerdings schrieb er Gedichte und Prosa immer auf Deutsch.

Er hat es durchaus mal auf Englisch versucht. Immerhin stand er ja in Briefwechsel mit dem, nach Robert Burns, bedeutendsten schottischen Dichter Hugh MacDiarmid, dessen Begriff ‚poetry of facts‘ er für seine eigene Dichtung übernommen hat. Denn so, wie er in sich die Liebe zu England und zu Deutschland miteinander vereinigte, so vermählte er in seinem Werk ebenso Wissenschaft und Poesie miteinander. “Arno,“ heißt es in einem Brief MacDiarmids, poetry and science should never be far from each other …”

Sein Versuch, wenigstens die eigenen Gedichte zu übertragen, scheiterte jedoch kläglich. Als ihn nämlich ein hochnäsiger Engländer wegen der Übertragung von Vorübergehende Siege tadelte. Das Gedicht war 1961 im Aufbau-Verlag Berlin erschienen. Die letzte Strophe lautet:

Seht, Herrscher von Babel bis heute,
Eure Siege waren vorübergehende nur!

Arno hatte den Titel mit ‚Bygoing Victories‘ übersetzt. Natürlich versucht selbst ein hochnäsiger Brite seine Kritik höflich rüberzubringen. Wenn ich zum Beispiel eingeladen bin und gefragt werde, wie mir das Essen geschmeckt hat, dann sage ich nicht ‚scheußlich‘, sondern: ‚interessant‘.
Und so hat auch mein arroganter Landsmann zu Arno gesagt: „That is a very interesting word ‘Bygoing’ that you use … there is no such word in English”.

Arno war nicht nur durch die Überheblichkeit verletzt, sondern erkannte auch selbstkritisch, dass er seinen nuancenreichen Wortschatz nicht adäquat würde ins Englische übersetzen können und schwor sich, fortan nur in seiner Muttersprache zu schreiben.
Das tat er auch, und zwar auf seiner prähistorischen Olympia. Kurioserweise tippte er darauf oft moderne und zukunftweisende Ferse. Hätte er sich jemals mit Internet, Computer und Handy zurechtgefunden? Von AI und Chat-gpt ganz zu schweigen?!

Das Tippen seiner Ferse auf der altmodischen Schreibmaschine – mit Blaupapier – und beim Vertippen nochmal, von Anfang an, mit einem neuen Blatt, wenn sich Fehler oder Änderungen nicht mit Tipp-Ex korrigieren ließen, das war für ihn ein kreativer Akt, um seine Gedichte zu verfassen oder zu perfektionieren.
Jene antike Schreibmaschine Arnos bekam dann die Schülerin Johanna Schaffner geschenkt, nachdem sie 2011 den Arno-Reinfrank-Jugendpreis für ihren auf einer Maschine getippten Beitrag gewonnen hatte.

Dieser Jugendpreis wird alle 2 Jahre – im vergangenen Jahr zum neunten Mal – in Ludwigshafen vergeben. Beim letzten Wettbewerb wurden über 30 Beiträge eingereicht, teils auf hohem Niveau, seit auch immer mehr Lehrer erkennen, dass ihre Schüler sich über die Teilnahme daran mehr für ihre Sprache und das literarische Schreiben interessieren.

In Ludwigshafen, wo Arno Reinfrank aufgewachsen ist, hat man inzwischen auch einen Weg nach ihm benannt.

So wird auf vielerlei Weise seiner gedacht:
Durch die beiden Literaturpreise sowie die geplante Gründung des Arno Reinfrank-Vereins in Ludwigshafen; wobei die Stadt Speyer ein großes Lob verdient für die Ausrichtung der Preis-Vergabe, ebenso die Landesbibliothek Speyer für die Betreuung des Nachlasses und die zwei umfangreichen Ausstellungen zu Leben und Werk des Schriftstellers in den Jahren 2004 und 2015, die von Dr. Vordestemann und Dr. Schlechter kuratiert wurden.

Erinnert wird an Arno Reinfrank auch durch die Website, und last but not least durch die Gründung der Arno Reinfrank-Stiftung (2015) unter dem Dach der Kulturstiftung Speyer, wofür Peter Eichhorn und Uwe Wöhlert großer Dank gebührt und wodurch der Preis auch für die Zukunft gesichert ist.

Die Zukunft, tja…
Viele Freunde, die Arno noch gekannt haben, fragen mich: Was würde er heute sagen? Der politische Zirkus in seiner zweiten Heimat England mit 13 Jahren Tories an der Regierung? Und dem Brexit? Mit seinen verheerenden Folgen für die Gesellschaft und die Wirtschaft des Landes? Eine der schlimmsten Selbst-Verstümmelungen in der Geschichte! Eine Zeit, in welcher Anstand seinen Rückhalt in der Öffentlichkeit verloren hat.

Die empörende Ungerechtigkeit, die im Skandal um die Post-Stellenleiter zutage getreten ist. Reiche werden immer reicher, Arme immer ärmer, und das ist nicht nur in England so. Der Klimawandel, die Corona-Krise, Russlands Krieg gegen die Ukraine, jetzt die furchtbare Tragödie im Mittleren Osten - all das führt dazu, dass unsere Gesellschaft immer instabiler wird, dass es zu einer Polarisierung kommt, die manche für ihre üblen Zwecke ausnutzen.

Was würde Arno heute sagen? Er war in seinen Schriften zuweilen sehr prophetisch, sah schon in den neunzigern voraus, dass Europa sich politisch nach rechts bewegen würde. Und wenn auch manche Gedichte aus der Poesie der Fakten aus heutiger Sicht veraltet sein mögen, da Wissenschaft und Technik sich rapide fortentwickeln, so haben sich doch manche seiner politischen und sozialen Beobachtungen bewahrheitet – leider.

Mit dem technischen Fortschritt hat offenbar der moralische nicht Schritt gehalten in unserer Welt, wo sich die Herzen verhärten gegen Menschen, die aus kriegszerrütteten Zonen oder vor Hungersnöten fliehen aus Ländern, die unbewohnbar werden durch die Folgen des Klimawandels.

Arno war ein kritischer Geist, und dennoch ist er ein Leben lang ein Optimist geblieben, denn:

die Siege von Babel bis heute –
sie sind vorübergehende nur.

»Wahnsinn beherrscht die Zeit«, hatte Ernst Toller in seiner Rede auf dem Internationalen PEN-Kongress 1933 gesagt... und ist heute das Motto der Ausstellung des Exil-Pen zum neunzigsten. Geburtstag.

„Wer kann in hässlichen Zeiten schöne Literatur schreiben?“ Das hat im Januar der Norddeutsche Rundfunk Anja Kampmann gefragt.
Sie kann das !!
Ob sie selbst ihre Werke als „schön“ bezeichnen würde, weiß ich nicht.
Aber dass es preiswürdige Literatur ist – das ist ein Faktum.

Und darum bekommt sie heute den Arno-Reinfrank-Literatur-Preis!