Arno Reinfrank

Arno-Reinfrank-Literaturpreis 2012

Laudatio von Professor Guy Stern

Gast Rede von Professor Guy Stern

Die humorigen Seiten des oft ernsten Arno Reinfrank
Ich bin stolz darauf, ein paar Jahrzehnte lang Arnos Wegbegleiter gewesen zu sein. Und ich möchte, meine Damen und Herren, einige Momentaufnahmen von diesem gemeinschaftlichen Marsch vor Ihnen ausbreiten. Vielleicht treten dabei weniger bekannte Aspekte jener bemerkenswerten Persönlichkeit zu Tage. Ich hatte ihn kurz nach unserer ersten Begegnung an meine Uni eingeladen, die Universität von Cincinnati. Er hielt Lesungen vor fortgeschrittenen Undergraduate Klassen und vor graduate seminars. Er war nicht der erste Gastredner, der sofort einen Draht zu unseren Studenten hatte. Aber was ihn von anderen abhob, war die Tatsache, dass sein Interesse an den Jüngeren keineswegs die angelernte Fertigkeit eines routinierten öffentlichen Redners oder Pädagogen war, sondern es entsprang einer spontanen Empathie mit seinen Zuhörern. Wenn englische oder amerikanische Studenten mit Fragen an ihn herantraten, so ging er völlig darauf ein - obwohl manche noch unausgegoren und in holprigem Deutsch vorgetragen worden waren. Anders ausgedrückt: Ihn leitete ein fast uneingeschränktes und ungekünsteltes Interesse an seinen Zuhörern.
Diese Empathie charakterisierte auch unsere Freundschaft. Ich habe mehrfach versucht, mich in ihn hineinzudenken. Das erwartet man von einem Freund - und noch mehr von dem Übersetzer einiger seiner Gedichte. Meine diesbezügliche Unzulänglichkeit ist mir bewusst.
Wenn es mir jedoch ab und zu gelang ihm gerecht zu werden - etwa bei der Interpretation eines Gedichtes - so hielt er mit seinem Lob nicht zurück. Aber wehe mir, wenn ich mich vergaloppiert hatte. In einem Aufsatz hatte ich seine extensiven naturwissenschaftlichen Kenntnisse auf sein Studium an dem Londoner "Polytechnical Institute" zurückgeführt. Mit einem Lächeln, aber unmißverständlich wies er diese Annahme zurück: "Ach was, der Name täuscht. Dort gibt es lediglich "basic college courses". Hättest mich ja fragen können."
Wesentlich schlechter erging es einem ihm bekannten Journalisten: "Eine Niete", sagte Arno. "Nur im Schlechtmachen von mir steht er seinen Mann." Weder bei Lob noch Kritik nahm er ein Blatt vor den Mund.
Arno kannte sein englisches Asyl genau so gut, vielleicht besser, als sein rheinland-pfälzisches Geburtsland. Er wurde mein Londoner Fremdenführer. Seine Führung wurde zu einer historisch-literarischen Tagestour. Ich erfuhr, wer alles schon im Tower von London gesessen hatte, wo Christopher Marlowe bei einer Bar-Auseinandersetzung ums Leben gekommen war, selbstverständlich wo Marx und die schöne Jenny nebst Familie gewohnt hatten, und welche Taverne der Dramatiker John Fletcher bevorzugte. Vollständigkeitshalber füge ich hinzu, dass wir beiden es ihm dort bei einem Glas Ale Fletcher nachmachten.
Wir trafen uns auf Exilkongressen. Arno fachsimpelte gern. Er plauderte sensibel mit dem Dichter Herzfeld und zollte dem Exilforscher Walter Behrendson einen wohlverdienten Tribut. Aber er hatte denselben freundlichen Umgang mit Bekannten aus anderen Fachgebieten. Durch meine Vermittlung lernten sich Arno und mein Cousin zweiten Grades, Allan kennen. Er ist Londoner ein Rechtsanwalt, aber sagte mir mehrfach, dass er durch Arno der Dichtkunst viel näher gerückt sei, als durch die Lehrer an einer der renommiertesten öffentlichen Schulen in England oder später an seiner Universität.
Auf dem Weg zu einem Exilkongress von Deutschland nach Stockholm musste ich kurz auf einem Londoner Bahnhof Station machen. Ich ging in eine Telefonzelle, um Arno anzurufen. Vielleicht könnten wir dieselbe Zugverbindung schnappen. Es klingelte bei ihm, es meldete sich jemand. "Ist Arno zu sprechen?", fragte ich. Aber ich wurde von einem ungestümen Klopfen an der Glaswand unterbrochen. Während meines Geschreis war er an der Zelle vorbeigewandert und hatte meine Stimme sofort erkannt. "Die Telefongebühr kannste Dir sparen!", sagte er trocken.
Damit haben wir den einleuchtenden Übergang zu Arno Reinfrank, dem Humoristen, gefunden, dessen Humor sowohl seine Belletristik und überraschenderweise auch sein Leben durchzog. Ich sage "überraschenderweise" nicht nur, weil viele Dichter und Akademiker, abstechend von ihrem Werk, im Leben eher mit tiefernster oder gar melancholischer Miene auftreten, sondern auch weil Arnos Leben von traurigen und tragischen Ereignisse geprägt war. Aber das ist nicht die Thematik von heute.
Dass Arnos Gedichte und Geschichten von Humor strotzten, ist kein Geheimnis. Der Kollege Jerry Glenn z.B. weist darauf hin, dass "the presence of the German Jew and the satirist persist [in various stages of his creative periods]" (Übersetzung: deutsche Juden treten im Zusammenhang mit Satire [in den verschiedenen Abschnitten seiner schöpferischen Laufbahn] auf) . Und Reinfrank selbst verweist manchmal auf diesen Aspekt seines Oeuvres, z.B. wenn die Worte "Satire" oder "satirisch" im Untertitel seiner Gedichtsammlungen auftauchen. Was aber bisher kaum beachtet worden ist, sind die vielfältigen Formen des Humors, über die er verfügt. Sie reichen von der Satire bis zu Ironie, Parodie und Farce, von unschuldiger Komik bis zur Erotik und schließlich von jüdischem Witz bis zum Galgenhumor.
In der zur Verfügung stehenden Zeit kann ich für jede Unterkategorie lediglich ein Beispiel anführen, hoffe aber, dass dies zu weiterem Lesen oder aber zu einer zuzüglichen Untersuchung anregt. Allerdings fiel es mir schwer, mich bei dem Füllhorn der Reinfrank'schen Satiren auf eine zu beschränken! Denn er greift immer wieder soziale und politische Missstände an, geißelt z.B. das Grauen der Nazizeit und ihre noch immer spürbaren Folgen. In der Ballade "Die weiße Rose" nimmt der Ich-Erzähler an einer Münchner Gedenkfeier für die Geschwister Scholl teil. Aber die Feier wird überschattet vom kirchlichen Orgelspiel, christlichen Gebeten und von der Anwesenheit schlagender Verbindungen. Zwei Verse charakterisieren die Zweckentfremdung der Feier:

"Erneut trifft man sich jedes Jahr
im ordinierten Kreise
im Universitäts-Lichthof
Geschwister Scholl zum Preise [...]
Wofür die Weiße Rose starb,
das wurde unterschlagen.
Man schleppt sein Kreuz nach Golgotha,
Gesegnet, die nichts fragen."
In seinen Erzählungen "Geschichten aus Ithopien" bekommt die Gesellschaftssatire einen universellen Anstrich. Die Schere zwischen Machthabern und unterdrücktem Volk wird durch den Lebensweg des Malers Igor illustriert. Er zieht sich "angeekelt" aus der Haupststadt zurück, geht auf ein Dorf und verdient sich seinen Unterhalt, indem er kunstgerecht die Häuser der Bauern bemalt. Der Herrscher erfährt von diesem Kuriosum und kommt das Dorf besuchen. "Die Bauern empfingen ihn kniend." Nun fragt er den Maler: "Warum bemalst du aber nur die Giebel dieser Bauernhütten?"
"Weil die Menschen fern deines Hofes, sobald du gegangen bist, gern ihren Kopf hochtragen.", antwortet Igor der Maler.
Wir kommen auf die Ironie zu sprechen. Sie durchzieht Reinfranks Erzählung "Solly und die 99 Engel": Der Ich-Erzähler mokiert sich über die Wirkungslosigkeit der Dichter und Schriftsteller, die mit ihrer Befürwortung einer gerechten Gesellschaft ganze Regale füllen, aber nicht die bestehende Ordnung zum Schwanken bringen, sondern lediglich sich selbst ins Unglück stürzen. Sie können einzeln eben nichts ausrichten. "Wer diese Pläne verwirklichen wollte, wurde entweder erschossen, ins Gefängnis gesteckt oder in die Verbannung geschickt; ein fröhlicheres Ende für eine Glückssuche konnte man sich nicht vorstellen.", kommentiert der ironische Erzähler.
Was das parodistische Talent von Reinfrank anbelangt, so macht er es sich nicht leicht. Er baut eine seiner Parodien auf der wohl berühmtesten Parodie der Weltliteratur auf, nämlich Jonathan Swift's "Gulliver's Travels". Aber anstatt Swift's Kritik an den Lilliputanern weiterzuführen - ihre Eroberungslust und Wankelmütigkeit dem Protagonisten gegenüber - geißelt sie Reinfrank seinerseits in seinem auf die Gegenwart bezogenen Gedicht "Gulliver" als Materialisten, Militaristen, Scheinheilige und Lüsterne. Reinfrank macht sich dabei eine geläufige deutsche Redensart zu Nutze, nämlich "jemandem auf dem Kopf tanzen", denn die Untaten der Lilliputaner werden alle auf Gullivers Kopf vollzogen. Schließlich macht er ein Ende mit den Lilliputanern von heute. Hier einige Verse aus diesem Gedicht:

Auf meinem Kopf beziehen feine Herren
Büros, die sie sich neu erbauen ließen,
bequem, mit Sessel, Sekt und Sekretär.
Auf meinem harten Kopf berechnen sie
den Aktienkapitalbesitz, verwalten mich,
versuchen, rastlos mehr aus mir zu machen. [...]
Gar ihre schönen Fraun in Lustkostümen
benützen meinen Kopf als Bett,
aus dem sie unverschämte Lieder krächzen.
All dies geschieht aufwärts der Linie meiner Augen
und sticht und drückt, es juckt und wiegt,
dass eines ich nur denken kann:
Ich werde mir die Läuse kämmen.
Soweit mir bekannt, hat sich Reinfrank nur einmal auf den handfesten Humor einer Farce eingelassen. Schon der Titel "Das Manöver findet bei Straubs auf der Veranda statt" verrät, dass sich hier eine absurde, ja meschuggene Handlung vorbereitet. Er karikiert z.B. die bestallten Unteroffiziere. Aber Arno, der Anti-Militarist, konnte die gängige Form eines Dramas des Absurden nicht durchhalten, wohl, weil die ihm vorschwebende Didaktik und Polemik des Stücks zu ernst war. Ein wahrheitsliebender und -verkündender Durchschnittsmensch wird zum Opfer einer Folterung. Die Szene lässt uns die anfängliche Groteske plötzlich vergessen.

Aber eine andere Form des Humors ist für den Sohn eines jüdischen Vaters alles andere als ein Einzelfall, nämlich seine Vorliebe für jüdischen Humor. Durch Einflechtung komikbehangener jiddsicher Vokabeln, meschugge, nebbich, Dalles, Eizzes, arein, die inzwischen auch z.T. Bestandteil der deutschen Sprache geworden sind oder unschwer aus dem beigefügten Glossar hervorgehen, versetzt uns Reinfrank unvermittelt in seine jüdische Welt. Einige Verse aus der Gedichtsammlung "Ein Neblich singt ; freundliche Reimelach" veranschaulichen Reinfranks Prägung des jüdischen Humors. Der Protagonist des Buches, Herr A. oder Herr Ausländer hat gerade ein Tonband besprochen:

Man spielt das Band zurück. Herr A.
Beginnt sich zu erregen.
"Hochdeutsch hab ich arein gesagt,
jüdisch schallt's mir entgegen."

Ein Beispiel aus derselben Sammlung bestätigt auch die Behauptung des amerikanischen Schriftstellers Rosten, dass beim jüdischen Witz oft Melancholie mitschwingt:

DIE MEDIZIN
Aufgrund des Hitlerbildes, das
Herr A. sich angenagelt,
hat ihn schon mancher gute Freund
mit Fragerei behagelt.

"Warum ich dieses Bildnis hab
in meinem Zimmer hängen?"
sagt A. "Die beste Medizin,
das Heimweh zu verdrängen".
Eine besondere Abart der Ironie ist die jedem Romantikliebhaber bekannte romantische Ironie, die den Leser mittels einer unerwarteten auktorialen kalten Dusche auf den Boden der Tatsachen zurückwirft. Reinfrank bekennt, dass er diese Form des Humors seinem Schirmherr Heinrich Heine (wie er ihn nennt) abgelauscht hat. Ein Gedicht beginnt mit einem romantischen Portrait des Schwarzwalds, komplett mit einem versteckten, mysteriösen Eremit. Seien Sie, liebe Zuhörer, auf die kalte Dusche gefasst:

DAS RUMPELSTILZCHEN
in 's Schwarzwalddörfchen lockte mich
zu stillen Urlaubswochen
ein buntes Reisebüro-Schild -
nach Föhren hats gerochen.

Nach Tannengrün und Kirschenschnaps,
nach Pilzen und nach Beeren
und frischen Schwarzwald-Mägdelein,
die leicht zu küssen wären.

Ich reiste hin und es umfing
mich dörflich trauter Zauber.
Aber als der Erzähler tiefer in den Wald eindringt, stößt er auf jenen versteckten Eremiten, der sich ihm zu erkennen gibt:

[Ich] Erwarte hier die Amnestie,
braucht nicht mehr lang zu warten.
Dann sag ich offen, wer ich bin
und die, die mit mir harrten.

Dann legen wir Bekenntnis ab
zu Deutschland, Blut und Ehre.
Wir halten treu zu unserm Eid,
dem Fahneneid, ich schwöre.

Nun geh zurück und grüße mir
auch deinen Gastwirt bestens.
Bekannt sind wir aus der SS
vom Frontabschnitt des Westens..."
Ich eile verständlicherweise aus diesem unangenehmen politischen Sittenbild zu den erotischen Gedichten und bediene mich der schönen und verdienstvollen Anthologie von Arnos Gattin, Jeanette Koch, die ebenfalls den Arno Reinfrank Preis und diese alljährliche Veranstaltung ins Leben gerufen hat. Sie zitiert Gedichte aus Arnos "Lyrischem Erotikon", "Sechsundvierzig galante Gedichte".
Ich rezitiere eines davon, wahrlich nicht das Gewagteste, das Erotik und Humor von unter einem Damenrock hervorluken lässt:

FREUNDINNEN
Ihm gefallen meine Beine,
sagt sie und zeigt sich schlank.
Ein Mann braucht was zum Bewundern.
Ich hab es, Gottseidank.

Oh, hätte ich nicht diese Fesseln
und das weitre hoch bis zum Knie -
er würde mich nicht beachten.
Bestimmt nicht! Sagte sie.

Dann setz ihn, erwidert die Freundin,
- es klingt doch mehr wie Gezisch -,
zum Anschau'n deiner Waden
beim Essen halt unter den Tisch.
Wir kommen zum letzten Schaukasten des Reinfrank'schen Humors - es ist schwarzer Humor und Selbstpersiflage. Als Beispiel diesmal ein Gedichtszitat, ein Klappentext und einige Briefauszüge. Reinfrank beklagte sich oft, mit völliger Berechtigung, über die mangelnde Anerkennung seiner Werke. Diese Beschwerde begleitete er, auch mir gegenüber, mit einem gewissen Galgenhumor.
Im Klappentext der Gedichtsammlung "Lyrisches Erotikon" zitiert ihn sein Verleger folgendermaßen: "[...] In der britischen Hauptstadt [wird] ... ,seinen Worten zufolge, sein Name jährlich millionenfach gedruckt ... im Londoner Telefonbuch."
Dieselbe Enttäuschung kommt auch in einem autobiographischen Gedicht zum Ausdruck - Arno wurde tatsächlich überfahren. Es heißt "Der Verkehrsunfall". Der Schluss ist reiner Galgenhumor.

So kam ein Kraftrad auf ihn zu
an einem ganz gewissen
gefahrbelebten Straßenkreuz
und hat ihn umgeschmissen.

Im Krankenhaus sagt er zum Arzt:
"Übergangen in all den Jahren
hat man mich oft, warum soll man
mich nicht mal überfahren?"
Dieser Anflug von Selbstpersiflage verließ ihn nicht bis in seine letzen Tage. In seinem Brief vom 28. Juni 2000 an mich beschreibt er sachlich und ohne Selbstmitleid seine schwere Erkrankung an Lungenkrebs, ebenfalls die Behandlung im Krankenhaus. Dann bricht der Reinfrank'sche, dialekt-durchwobene Witz jedoch durch: "Nun bin ich mit bammligen Beenen davon und zuhause nach der ersten Chemotherapie." , um sich dann zu einer Art Galgenhumor zu steigern, in dem er auch den Spitznahmen der Deutschen, nämlich Kraut, anredet: "[Ich] sagte zur Ärztin, wir wollen eine Erfolgsstory zusammen machen: Dr. Slater re-constitutes cabbage into efficient old Kraut."
Mir war klar, was mir Arno mitteilen wollte.
Aber Freunde, nicht diese Töne. Schon 1971, nebbich, hat Arno seinen Lesern eine Art humorvolle, chuzpedike Bilanz über seine damalige Gegenwart und Zukunft hinterlassen.
Es heißt "Weisheitsschluss":

Herr Ausländer fragt manchmal sich,
wo er am liebsten gern is.
Das Glück sucht immer sich den Ort,
dem man gerade fern is.

Für Israel ist er zu alt,
für Deutschland zu empfindlich.
Amerika ist ihm zu fern,
England zu unverbindlich.

Frankreich verträgt sein Magen nicht,
in Schweden ist es kalt und naß
und Wien hat zwar den alten Charme,
doch auf die Leut' ist kein Verlaß.


Am besten lebt man, wo man is
als wundersame Erscheinung
und balanciert zwischen fleischigem Ja
und geistiger Verneinung.
Und so wollen wir Arno in Erinnerung behalten, an diesem Feiertag und hoffen, dass ihm sowohl im Jenseits als auch in dieser Versammlung die ihm gebührende Anerkennung nicht vorenthalten wird.