Arno Reinfrank

Arno-Reinfrank-Literaturpreis 2018

Rede von Konstantin Kaiser

Konstantin Kaiser, Wien. |Herausgeber mit Jeanette Koch |der Neuerscheinung 'Die Zwitschermaschine'|© Klaus Venus
Konstantin Kaiser, Wien.
Herausgeber mit Jeanette Koch
der Neuerscheinung 'Die Zwitschermaschine'
© Klaus Venus

Konstantin Kaiser

Menschenwürde und Heiterkeit“ - über die Dichtung von Arno Reinfrank 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Jeanette, Dir muss ich zuerst einmal danken, dass Du mir die Gelegenheit gegeben hast, an diesem Band „Arno Reinfrank - Ausgewählte Gedichte“ mitzuarbeiten, Mitherausgeber zu sein, wenngleich Du mir damit einige Arbeit aufgeladen hast. Aber Du hast eigentlich die Hauptarbeit geleistet und die Initiative ergriffen. Und es ist ein gutes Resultat zustande gekommen.

Ich möchte ganz kurz darauf eingehen, woher ich Arno Reinfrank kenne. Ich sitze ja in Wien, beschäftige mich mit österreichischer Exil-Literatur. Das ist mein Spezialgebiet. Auf diesem Gebiet bin ich sozusagen einer der bekanntesten Forscher – in Österreich zumindest -, habe ein Lexikon der österreichischen Exil-Literatur mitherausgegeben und bin seit mehr als 30 Jahren Mitherausgeber einer Zeitschrift für Literatur des Exils und diverser einschlägiger Buchreihen. Meine Verbindung zu Arno Reinfrank entstand natürlich über die Exil-Thematik.

Arno Reinfrank war ein, könnte man sagen, Nicht-Verdränger, ein Anti-Verdränger, schon von klein auf. Da dürften auch persönliche Motive eine Rolle gespielt haben. Einer, der die deutsche Nachkriegsverdrängung, es hätte auch die österreichische sein können, einfach nicht mitgemacht hat.

Er war vielleicht schon durch seine Herkunft und durch sein Temperament, durch sein Wissen um die Dinge gezwungen, sich gegen das Regime der Verdrängung, das Regime des Schweigens aufzulehnen.

Es gibt natürlich mehrere deutschsprachige Autoren, die nach 1945 ein zeitweiliges Exil gesucht haben, wie etwas Hans Magnus Enzensberger, der dieses in Schweden gesucht hat, oder andere im Ausland deutschsprachig Schreibende, die keine Exilierten im Sinne von Vertriebenen durch den Nationalsozialismus waren.

Arno Reinfrank hat bewusst das Londoner Exil und den Kontakt mit den dort lebenden und arbeitenden und sich in einer mühsamen Veranstaltungstätigekeit artikulierenden Exilierten gesucht; er war in London dann auch von 1980 bis 89 der Sekretär des P.E.N.-Zentrums deutschsprachiger SchriftstellerInnen im Ausland. Das war und ist die Nachfolgeorganisation des deutschen Exil-P.E.N. als auch des Free-Austrian-P.E.N., also des freien österreichischen P.E.N.-Clubs, der wie der deutsche Exil-P.E.N. in London zuhause war.

Dass Arno diese Gesellschaft des Exils suchte, obwohl er in der Bundesrepublik literarisch schon einigen Boden unter den Füßen hatte, war sicherlich eine existentielle Entscheidung, war ein Akt der Auflehnung: eine Position einzunhemen, aus der er Deutschland auch von außen und von der Seite her ansehen konnte. Ob das für seine literarische Karriere hilfreich war, ist eine andere Frage. Aber er war ein Nicht-Verdränger.

 

Jetzt könnte man natürlich meinen, Arno Reinfrank war immer einer, der mit schmalen Lippen, hinter den Verbrechen der Nation her gehechelt ist, sie aufzudecken. Das kann man so nicht sagen. Ich habe auch oft das Gefühl gehabt, Arno Reinfrank habe „Die Metaphysik der Sitten“ Immanuel Kants aufmerksam studiert und dabei sei auf die Stelle gestoßen, wo Kant zwei Dinge zur Beförderung des "tätigen und vernünftigen Wohlwollens", welches sittliche Pflicht ist, erwähnt. Nämlich zwei Dinge, die man zwar üben soll, die aber selbst nicht sittliche Pflicht sind, doch für Arno sehr wahrscheinlich sittliche Pflicht waren. Nämlich das Mitleid, und bei Kant kommt noch ein Geselle des Mitleids, die Mitfreude dazu. Erst diese beiden zusammen, Mitleid und Mitfreude, machen das aus, was die Verbindung des Ringens um Menschenwürde mit der Heiterkeit ermöglicht.

Das heißt, es geht auch in Gedichten darum, sich Zonen, Territorien, Einsichten, Landschaften zu erarbeiten, in denen Mitfreude aufglimmt und in der Mitfreude auch die Empathie des Mitleidens Gegenwart gewinnen kann.

Ich würde sagen, es ist geradezu eine dialektische Beziehung zwischen Mitleid und Mitfreude, zwischen Empathie und Heiterkeit, die sich im Werk von Arno Reinfrank durch viele Gedichte verfolgen lässt - was für mich wirklich ein großer, bedeutsamer Aspekt ist.

Eine fasr lustige Koinzidenz: 1961, als Arnos wichtiger Gedichtband „Fleischlicher Erlass“ – der Titel ist ja eindeutig - erschien, ist auch eine Anthologie deutscher Lyrik seit 1945 von Horst Bingel erschienen, in der sich Bingel in der Tradition der Gruppe 47 gegen einen neu aufkommenden Bukolismus in der Literatur verwahrte. Dieser Bukolismus wird als ein Rückfall bezeichnet. Vielleicht hatte Bingel dabei niemand anderen als Arno Reinfrank im Auge, als Vertreter einer neuen Daseinsfreude, auf die er als Deutscher doch kein Recht haben durfte.

Arno Reinfrank hat sehr wohl in seinen Gedichten immer wieder Daseins-Zuversicht, Daseins-Freude, Daseins-Heiterkeit dargestellt, spüren lassen. Man kann ihm dabei folgen und das bedeutet nie, dass der kritische Standpunkt, der kritische Kompass darüber verloren ginge.

 

Es gibt ganz eigenartige Zeilen von Arno Reinfrank, die ich dann meinem Vorwort zu dem erwähnten Band ausgewählter Gedichte voranstellte. Diese Zeilen, lauten:

 

Unser Menschenkopf

vermag alles,

denn er ist nicht

vom Menschen gebaut.

 

Was heißt das? Es ist ein bisschen paradox. Selbstverständlich ist das menschliche Gehirn in seiner Ausprägung, seinen Fähigkeiten eine Folge einer Millionen Jahren anhaltenden vormenschlichen, menschlichen, vielleicht bald nachmenschlichen Entwicklung. Aber es ist zugleich etwas, was der Mensch, der die Bühne des Daseins betritt, natürlich nicht gemacht hat, sondern erbt. Und wir haben da auch wieder zwei Seiten, das ist die Frage der menschlichen Würde, die Arno Reinfrank sehr scharf gesehen hat. Nämlich auf der einen Seite das Wissen, dass wir die Menschenwürde eines jeden respektieren und ermöglichen müssen; sozusagen als Bedingung menschlicher Würde überhaupt, bedarf es dieses Respekts. Das wurde heute schon nachdrücklich ausgeführt. Aber es hat auch die andere Seite. Diese Würde ist uns als eine, die wir selbst erst und immer wieder erringen müssen, aufgetragen. Das heißt, wir haben da nicht nur den Respekt einzufordern, sondern auch das Erbe dieser Würde in uns, durch uns und in unserem Handeln und in unserem Schreiben zu wahren.

Ich sehe überhaupt bei Arno Reinfrank eine durchgehende Bewegung des Ringens um menschliche Würde, sowohl in dem einen mehr rechtlichen Sinne der Bedingtheit menschlicher Würde, als auch in dem anderen Sinne, des Erfüllens des Auftrags menschlicher Würde. Und dazu passt ein zentrales Motiv, das sich besonders deutlich wahrnehmbar durch die zehn Bänden der „Poesie der Fakten“ zieht.

Günther Anders spricht in „Die Antiquiertheit des Menschen“ von der prometheischen Scham. Prometheus erscheint in seiner mythologischen Ära als der große Hervorbringer, dem das Menschengeschlecht nacheifert. Der heutige Mensch schämt sich seiner im besten Fall partikulären Teilhabe am Produktionsprozess, er ist nicht mehr der Prometheus seiner Welt. Er steht überwältigt einer von ihm geschaffenen Welt gegenüber, die er zum großen Teil nicht mehr nachvollziehen kann, weder in ihren wissenschaftlichen Grundlagen noch in der Gesamtheit ihrer Erscheinungen. Er steht erniedrigt vor seiner eigenen, von ihm erschaffenen Maschinerie.

Das ist zunächst keine Kapitalismuskritik im üblichen Sinne, sondern ein spezifischer Aspekt dessen, dass Menschen ihre Würde preisgeben, wenn sie sich gegenüber der technisch-wissenschaftlichen Welt, gegenüber diesem ganzen ungeheuren Apparat, der uns einerseits entgegensteht, andererseits zur Verfügung steht, auf sich selbst zurückziehen und ihn sozusagen als das nicht für das Leben Bedeutsame zu entwerfen suchen und damit zugleich ihre Ohnmacht manifestieren. Und sich auf der anderen Seite ein kleines sicheres Inselchen schaffen, wo sie noch immer als Gockel ihrer selbst herum marschieren können. (Das ist jetzt ein bisschen übertrieben ausgedrückt.)

Was jedenfalls Arno Reinfrank unternahm, war die Grammatik, die geheime, die bei Goethe Mohn und Rosen dekliniert, auf die Welt der Fakten anzuwenden. Das ist aber zutiefst aus dem Ringen um menschliche Würde entsprungen, das sich in seinen Gedichten und in der Entwicklung seiner Gedichte darstellt und spiegelt.

 

Danke.