Arno Reinfrank

Arno-Reinfrank-Jugendpreis 2023

Tessa Loreen Schäfer

404 - Not found – non existing

*Ein weiteres Exemplar wurde erstellt*

Das war das Erste, was ich hörte. Ich stand auf einem schwarzen, langen Laufband, welches sich langsam nach vorne bewegte. Ich schaute an mir herrunter und sah meine blau-gräuliche Metallhaut, welche ziemlich stabil und robust aussah. Ich wurde in einen Lagerraum gebracht, wo noch einige andere meiner Art standen. Sie sahen mir zum Verwechseln ähnlich und man hätte uns beinahe nicht auseinanderhalten können, hätte nicht jeder seine eigene Nummer auf der Brust stehen gehabt. Niemand bewegte sich, weswegen auch ich mich nicht traute, einen einzigen meiner 3D-gedruckten Muskel zu bewegen.

Irgendwann öffneten sich die großen Türen des Lagerraumes und ein paar von uns wurden in einen anderen Raum gebracht. Dort stand ich anschließend vor einem riesigen Spiegel, in dem ich meine Reflektion sehen konnte. Ich sah kalt und gefühlslos aus. Genauso wie die anderen. Wir bekamen anschließend eine Latexhaut übergezogen. Auch andere menschliche Features wurden mir zugefügt. Diese waren zum Beispiel braune Glasaugen und lange schwarze Wimpern. Noch wusste ich nicht, was es damit auf sich hatte, aber ich konnte erkennen, wie ich den Menschen, unseren Erfindern, immer ähnlicher wurde. Sie musterten mich genauer und brachten mich und die anderen in einen weiteren separaten Raum, wo wir einigen Tests unterzogen wurden. Sie sagten, sie würden uns auf unsere späteren Aufgaben vorbereiten.

Danach wurde unser Aussehen gestaltet. Ich bekam lange, lockige, rote Haare, welche im Vergleich mit den anderen meiner Art ziemlich herausstachen. ,,HR404 Azura”. Das sollte der Name werden, unter dem man mich identifizieren konnte.

Wir wurden in einen großen schwarzen Laster gebracht und zu einem bewundernswerten Glashaus gefahren, in dem viele Männer mittleren Alters versammelt im Foyer saßen. Als ich und alle anderen auf die Bühne gestellt wurden, applaudierten sie und waren begeistert. Wieder bewegte sich kein anderer meiner Art, weshalb auch ich mich wieder keinen Zentimeter bewegte. Anhand des Exemplars "HR001 Adrana" wurden wir vorgestellt. Soweit ich verstand, waren wir humanoide Roboter, welche die Menschen, die so aussahen wie ich, bei ihren alltäglichen Aufgaben unterstützen sollten. Unser Erfinder Theron Colton, ein Multimillionär, welcher einen ziemlich hohen IQ zu haben schien, ergriff das Wort und erklärte noch ein paar wichtige Fakten.

Nachdem wir vorgestellt worden waren, konnten die Leute uns genauer betrachten und anschließend eines der Exemplare kaufen und direkt mitnehmen. Als wären wir Dinge, was wir theoretisch auch waren, mussten alle Käufer einige Unterlagen unterschreiben und viel Geld bezahlen.

Ich wurde von einem schon etwas älteren Mann gekauft, welcher mich zu einem kleinen, klapprigen, alten Audi 80/A4 brachte. Ich durfte auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. Das ganze Auto roch nach Rauch und es lagen überall alte Zigaretten herum, was ich von dem Mann in einem schwarzseidenen Anzug nicht erwartet hätte. Der Mann stellte sich als Matteo Marriott vor, doch mehr sagte er auf der ganzen Fahrt zu seinem kleinen Einfamilienhaus nicht.

Als wir ankamen, war es schon wesentlich dunkler geworden. Ich stieg aus dem Auto und ging mit dem Mann an meiner Seite Richtung Haustür. Bevor er aufschloss, sah er mich noch einmal an, und es schien, als wollte er mich noch etwas fragen. Doch dies tat er nicht. Er richtete seinen Blick wieder zur Haustür und schloss diese nun auf.

Nachdem ich eingetreten war, schaute ich mich erst einmal um. Das Haus sah recht geräumig aus, auch wenn es nur ein kleines Haus war. Modern und minimalistisch eingerichtet, doch trotzdem gemütlich. Ich analysierte es mit meinem Weitwinkelblick, bis ich ein paar Augen auf mir spürte. Ich drehte mich zu diesen um und erblickte einen Teenagerjungen und eine blonde Frau. Ich vermutete, dass dies seine Mutter war und die Lebensgefährtin von Matteo. Mein Emotionstracker untersuchte sie und teilte mir mit, dass der Junge nicht wirklich erfreut war, mich zu sehen. Die Mutter hingegen war wie gefühlslos. Oder doch neutral?

Matteo ergriff das Wort und stellte mich als "HR404 Azura" vor. Der Teenager drehte sich, ohne mich eines Blickes zu würdigen, von mir weg und lief die alte Holztreppe nach oben.

Die Frau sah ziemlich erschöpft und blass aus. Matteo griff ihr unter die Arme und begleitete sie in ein Zimmer, das offensichtlich ihr Schlafzimmer war. Ich stand also da und bewegte mich nicht, da ich auf genaue Anweisungen programmiert war. Als er wiederkam, sagte er, ich sollte einfache Haushaltsdinge erledigen, wie putzen, kochen und aufräumen. Da es aber schon recht spät war, sagte er, ich sollte es erst am nächsten Tag erledigen.

Ich, als Roboter, schlafe nicht. Also setzte ich mich auf einen Stuhl am Esstisch und schaltete mich auf Stand-by-Modus. Dies ist ein Modus, in dem mein Akku sich von selbst auflädt, ich aber trotzdem alles um mich herum höre. Genau deshalb hörte ich auch, wie jemand nachts hustend in die Küche und auch wieder zurück schlich.

Am nächsten Tag fingen meine Tätigkeiten erst richtig an. Ich bereitete der Familie Frühstück, spülte das Geschirr und kümmerte mich um den Rest des Hauses. Ich putzte jedes Zimmer, bis auf das Zimmer der blonden Frau. Mir wurde strengstens verboten, dieses Zimmer auch nur zu betreten. Generell sah ich die Frau, die in diesem Zimmer wohnte, ziemlich selten. Das Essen, das ich kochte, wurde ihr von Matteo gebracht.

Ich wusste nicht, was mit ihr war, doch ich wurde so programmiert, dass ich mich dies auch nicht fragen würde.

Je länger ich dieser Familie ,,diente”, umso mehr Fragen kamen mir dann doch in den Kopf. Aber ich ignorierte diese, da es nicht sein konnte, dass ich solche Noemata hatte.

Von dem Jungen, welcher sich als Elja herausstellte, wusste meine Datenbank auch recht wenig. Er ging mir gekonnt aus dem Weg und ich wusste nicht einmal warum. Immer wenn ich ihn sah, hörte er Musik, und er versuchte, seine dicken, schwarzen Augenringe zu verstecken.

Die blonde Frau war mir ein Rätsel. Ich durfte von Tag zu Tag mehr Essen von ihrem Teller wegwerfen. Ich sah sie sowieso noch weniger als sonst.

Ich erfuhr, dass sie an CEACAM5, also Krebs erkrankt war.

Es ergab also alles einen Sinn. Wieso Elja andauernd am Trauern war und nicht zur Schule ging und wieso er schlaflose Nächte hatte. Matteo hingegen überspielte das Ganze und versuchte, eine normale Stimmung beizubehalten. Doch dies gelang selbst ihm nicht immer. Nachts hörte ich sein leises Schluchzen und wie er sich in den Schlaf weinte.

Er versuchte also, für seinen Sohn stark zu bleiben.

Ich war stolz auf die Familie, auch wenn ich nicht zu ihr gehörte. Doch was ist Stolzsein überhaupt? Ich wusste es nicht und überspulte diesen Gedanken, über den ich nichts im world wide web finden konnte.

Einmal aber rief mich die blonde Frau, welche keinen einzigen Tupfen Rosa mehr in ihrem Gesicht hatte, zu sich ins Zimmer. Ich folgte ihren Anweisungen und setzte mich an ihre Bettkante. Sie erzählte mir von ihren Arztberichten und wie schlecht diese für sie aussahen. Mir lief ein Tropfen salziges Wasser aus dem Auge, doch ich wusste nicht, was dies zu bedeuten hatte.

Die blonde, todkranke Frau erzählte mir mehr von sich und ich erfuhr, was für eine gute Seele sie doch war. Doch lange würde diese Seele es nicht mehr auf der Erde aushalten. Sie musste ihre Familie verlassen.

Doch die Familie war zerstört.

Der Junge wie der Vater trauerten um die Frau und fingen an, weniger und weniger zu essen. Sie waren am Boden zerstört und setzten keinen Fuß mehr nach draußen.

Mein Datenbanksystem war dauerhaft belastet und durch meine fehlenden Aufgaben wurde ich immer schwächer.

Mein Selbstschutz-System schickte mehrere Fehlermeldungen an meinen Konzern, denn ich begann Mitgefühl zu entwickeln, was für einen humanoiden Roboter wie mich unmöglich sein sollte. Wir sollten nur menschliche Gestalt annehmen und nicht wie sie werden. Doch genau dies geschah mit mir.

Ich wurde genau wie sie.

Schwach. Schwach und geplagt von Gefühlen.

Auf Dauer beschädigte dieses menschliche Verhalten meine technischen Fortschritte.

Dies könnte eine dauerhafte Gefahr für alle humanoiden Roboter sein, weshalb der Vertrieb beschloss, mich, meine einzigartigen, menschlichen und schwachen Gefühle abzuschalten.

Die ganze Familie schaffte es also nicht.

Die Mutter an Krebs gestorben, Matteo und Elja an einem gebrochenen Herzen.

Und ich.

Ich wurde abgeschaltet und bin seitdem nicht mehr auffindbar.

Denn das bedeutet auch mein Name. HR404.