Arno Reinfrank

Arno-Reinfrank-Jugendpreis 2011

Lena Schweiger

Atom-Katastrophe
 
Wenn ich ehrlich bin, habe ich mir früher nie Gedanken darüber gemacht.
Wenn es wirklich so unsicher wäre, wie manche Leute behaupten, würde es in Deutschland so etwas ja wohl nicht geben.
Heutzutage wird doch schließlich alles hundertmal getestet und geprüft.
Ich hatte früher also absolut nichts dagegen.
Warum auch?
Ist doch eine super Möglichkeit Energie zu gewinnen. Und das alles sogar ohne CO2-Ausstoß.
Also alles perfekt.
Ich wusste damals zwar, dass schon Unfälle passiert waren, aber das war immer in Russland oder sonst irgendwo auf der Welt - nicht bei uns.
Hier würde das nie passieren. Hier ist doch alles viel sicherer.
Ja, das war damals meine Meinung dazu. Ich habe mir einfach keine Gedanken darüber gemacht.
Warum auch?
Das ist doch die Aufgabe der Politiker. Die werden das schon richtig machen.
Ein Mädchen aus meiner Klasse ging jedes Wochenende auf irgendwelche Demonstrationen. Für was das denn bitte?
Ist doch alles in Ordnung.
Aber nichts ist in Ordnung. Gar nichts!
Ein kleiner technischer Fehler.
Nichts schlimmes.
Das kann mal vorkommen.
Ruhe bewahren.
Keine Gefahr!
Das lief im Radio und im Fernsehen.
Stand in jeder Zeitung und im Internet.
Das haben die Politiker gesagt.
Die werden schon Recht haben
Massenpanik.
Alles verstrahlt.
Krankenhäuser überfüllt.
Tausende Tote.
Krebsrate dramatisch angestiegen.
Das lief einige Tage später im Radio und im Fernsehen.
Stand in jeder Zeitung und im Internet.
Und die Politiker? Sie waren plötzlich still.
Totenstill.
Jetzt können sie nichts mehr vertuschen.
Millionen Menschen haben Familie, Freunde und ihre Heimat verloren.
Und die Folgen des "kleinen technischen Fehlers" werden noch lange anhalten.
Wenn schon längst neue Atomkraftwerke gebaut sind.
Und der sogenannte "Unfall" vergessen ist.
Doch ich werde das alles nie vergessen
Das Schreien der Menschen auf der Flucht.
Vor dem unsichtbaren Grauen, das sich rasend schnell ausbreitete.
Die ersten Haarbüschel, die mir ausfielen.
Die Blicke der Menschen, als ich mit kahlem Kopf durch die Straßen lief.
Die Trauer. Weil alles verloren ist.
Und das Leben nie mehr so sein wird, wie es einmal war.
Muss diese Katastrophe wirklich erst passieren, damit die Menschen die Gefahr begreifen?
Und endlich bemerken, worum es wirklich geht?