Arno Reinfrank

Arno-Reinfrank-Jugendpreis 2011

Oliver Berg

Gesellschaftlich gesehen
 
Ich sehe mich vor einer wichtigen Entscheidung, wahrscheinlich der wichtigsten meines kleinen unbedeutenden Lebens. Ich kann kaum mehr klar denken, keinen vollen ganzen Gedanken fassen oder gar logisch denken. Ich sehe nur sie. Ich liebe sie. Ich werde ihr helfen.
So oder so ähnlich könnte das Ende eines typischen verherrlichenden Liebesromans aussehen, ich empfinde solche Situationen als peinlich, ja sogar als demütigend. Man bemerkt kaum, wie man jeglichen Sinn für das Reales verliert und wird sozusagen in einen Zustand versetzt, der sich jeglichem Denken widersetzt. Hartnäckig, unnachgiebig.
Liebe.
Dieses Wort sollte man sich einfachmal auf der Zunge zergehen lassen. Lieben, geliebt werden, alles Unsinn. Man kann keinen anderen Menschen lieben, denn man kann niemanden verstehen, der man nicht selbst ist. Wie wollen wir einander näher kommen, wenn wir nie sicher sein können, den anderen einschätzen zu können? Er könnte uns jederzeit angreifen oder verletzen, wer weiß, wer weiß. Also kann man nur sich selbst lieben, interessant.
Ich laufe also so eines Tages die Straße entlang, diese endlose Straße, man sieht kein Licht, wirklich stockduster hier draußen. Ich schlendere langsam an Gebäuden entlang, nicht zu identifizierende Blöcke an Material. Mir begegnen Leute, wildfremde, unbekannte Gestalten.
Man hält sich an das abgesprochene. Mir wurde zuvor gesagt, ich solle mich auf der besagten Straße nach einer langhaarigen Person umschauen, sie sei in rot gekleidet wurde mir versichert.
Einen nach dem anderen inspiziere ich die Menschen, an denen ich vorbei laufe. Da sehe ich sie. Natürlich springt sie mir sofort ins Auge, wenn sich jemand derartig kleidet, so will diese Person ganz bestimmt nicht ignoriert werden. Nein wirklich, was für eine Erscheinung!
Ich laufe auf sie zu, sie kommt mir nach einem kurzen Zögern entgegen, schaut aber unsicher; ich merke es, ohne in ihr Gesicht schauen zu müssen. Sie offenbart sich mir: Die ganze Zeit über hatte ich es geahnt, aber niemals für möglich gehalten! Nach all den Jahren, endlich wieder meine leibliche Mutter anzutreffen, was für ein Moment.
Nach allem was sie mir angetan hat kann ich mich nun endlich rächen. Ich liebe sie. Ich werde ihr helfen. Bereuen wird sie auf jeden Fall. Vergebung sucht sie vergebens.