Arno Reinfrank

Arno-Reinfrank-Jugendpreis 2011

Dimitra Zotou - Zweiter Preis Kategorie Kurzgeschichte

Nach den Sternen greifen: Technik, Wissenschaft und Gesellschaft in der Welt von heute
 
Vorwort
 
Viele Jugendliche haben Probleme und meist wollen sie nicht darüber sprechen. Vor allem nicht mit Erwachsenen. Sie denken, dass niemand sie wirklich versteht und suchen sich andere Beschäftigungen. Sie stellen sich eine Traumwelt vor, in der alles so verläuft wie sie es wollen. Sie haben Träume und wollen einfach nicht enttäuscht werden.
Manche von ihnen verändern sich, werden gemein und grenzen sich von der Gesellschaft ab. Sie tun es um sich zu schützen, denn sie wollen keine Schwäche zeigen. Andere nehmen es so hin und lassen sich fertig machen. Sie ergeben sich, denn sie haben all die Hoffnung verloren.
Sie finden aus der Situation keinen Ausweg und sind verzweifelt.
Andere haben Bedürfnisse und bringen sich deshalb in Schwierigkeiten. Sie tun alles, nur um das zu bekommen, was sie wollen. Doch im Endeffekt haben alle Jugendlichen das gleiche Problem. Sie sind schwach und wollen kein Vertrauen zu den anderen aufbauen, denn sie fürchten sich davor verletzt zu werden. Hierzu gehören auch Nina, Michaela, Miriam und Kathrin.
Mein Name ist Rino Bernhard und diese vier Mädchen sind meine Aufgabe. Ich bin schon seit über zwanzig Jahren Sozialarbeiter und helfe Jugendlichen sich zu bessern. Jedoch war mir bis zu diesem Moment noch nie ein Mädchen untergekommen, geschweige denn vier. Ich hatte mich mit Jungs befasst, denn sie waren durchsetzungsfähiger.
Mädchen waren empfindlicher und mussten anders an die Sache heran gehen. Das war nicht nur ihre Herausforderung, sondern auch meine. Anfangs dachte ich, es würde einfach sein, doch ich habe mich getäuscht. Es funktionierte nicht nur mit Reden.
Niemals hätte ich es für möglich gehalten so was zu erleben, doch es war so passiert. Mädchen hatten Probleme mit Drogen und Gewalt. Etwas das ich nur von Jungs kannte. Ein Problem war schwerer als das andere, doch für jedes der Mädchen war es hart, denn sie waren alle unterschiedlich. Sie hatten alle unterschiedliche Stärken und Schwächen.
Dies alles begann vor einer Woche und bevor ich anfange meine Version der Geschichte zu erzählen, werdet ihr die Mädchen kennen lernen. Glaubt mir, sie sind sehr nett  
 
Kapitel 1: Nina
 
Nina wachte früh am Morgen auf, ging zur Schule und passte im Unterricht auf. Alles war so wie jeden Morgen, wenn sie den Tag begann. Und jeden Tag langweilt sie sich und wünscht sich endlich, dass etwas Neues passiert. Und es passiert in der Tat etwas. Sie sah einen Jungen von weitem und er gefiel ihr sofort. Jedoch war sie sehr schüchtern und zurückhaltend und traute sich nicht ihn anzusprechen. Sie wünschte es sich so sehr und jeden Tag versuchte sie an ihn heran zu kommen. Sie schmiedete Pläne, wie sie ihn für sich gewinnen konnte. Ihre Freundin war stets hinter ihr gestanden und versuchte sie zu überzeugen, dass alles gut laufen würde. Nina kannte den Jungen nicht, wusste nicht mal seinen Namen und sie hoffte sich so sehr, ihn einmal ansprechen zu können. Immer, wenn sie ihm zu nah war und ihn ansprechen wollte, verließ sie der Mut in letzter Sekunde und sie machte einen Rückzug. Und immer stand ihre Freundin hinter ihr. Das Problem war aber, dass Nina anfing, es zu übertreiben. Natürlich sprach sie mit ihrer besten Freundin darüber, doch auch diese, die Natalie hieß, reichte es langsam. Egal wann die beiden miteinander sprachen, das Thema handelte immer nur über diesen Jungen. Nina sprach nur noch von diesem Typen und Natalie hörte genervt zu. Sie sagte nichts, denn sie wollte ihre beste Freundin nicht verletzen. Sie konnte gut verstehen wie sich Nina fühlte und gab nach. Sie hörte ihr zu, gab ihr weitere Tipps, obwohl Nina nichts tat. Und trotzdem war es nicht dasselbe wie früher. Es waren schon Monate vergangen und Natalie wurde immer wütender auf ihre Freundin. Sie überlegte sich etwas, wie sie die Beiden zusammen bringen konnte, damit sie endlich Ruhe gab. Also sprach sie eines Tages diesen Typen an und erklärte ihm, dass ihre beste Freundin ihn toll fand. Das gute daran war, dass der Junge, der Niclas hieß, Nina auch gefiel. Für Natalie war es das Beste was passieren konnte. Sie brachte die beiden also zusammen und bat Niclas nichts zu erzählen. Nina sollte nicht wissen, dass Natalie mit Niclas gesprochen hat. Und ab diesem Tag war alles wieder besser. Niclas und Nina unterhielten sich und Natalie war die Beste. Die zwei Freundinnen sprachen und lachten und Niclas hatte Nina sogar zu sich eingeladen. Natalie freute sich tierisch für ihre Freundin und wünschte ihr alles Gute.
"Ruf mich dann an und sag mir wie es war", sagte sie am Freitagnachmittag in der Schule. Nina versprach es und verabschiedete sich von ihrer Freundin.
Sie ging zu Niclas, der schon achtzehn war und lernte seine Freunde kennen. Alle waren so viel älter und reifer, dass Nina sich sofort zu ihnen hingezogen fühlte. Sie verbrachten den Abend zusammen, tranken und rauchten obwohl Nina Raucher hasste. Sie schlief mit Niclas und rief ihre Freundin nicht mal an. Sie dachte nicht mehr an sie.
Natalie machte sich Sorgen, denn sie hatte nichts von Nina gehört. Es war seltsam, denn es war von ihrer besten Freundin nicht üblich, dass sie ihr Versprechen nicht einhielt. Das Wochenende verging und am Montag war Natalie mehr als aufgeregt über Ninas Date mit Niclas zu erfahren. Sie sah die Beiden von weitem an und lief auf sie zu um mit ihnen zu sprechen, doch plötzlich bogen beide ab und ließen Natalie links liegen. Es war für sie wie ein Schlag ins Gesicht. Niemals hätte sie sich vorstellen können, dass ihre beste Freundin sie sitzen lassen würde und das nur wegen einem Jungen. Sie sah nur noch ein letztes Mal zu ihrer Freundin die Händchen haltend mit Niclas den Eingang der Schule betrat, ehe sie sich schwor, nie wieder mit ihr zu sprechen.
Nina war das glücklichste Mädchen der Schule. Ihr Freund war gut aussehend und ihre Noten waren in Ordnung. Ihre Familie war stolz auf sie und ihre neuen Freunde waren einfach toll. An Natalie wagte sie nicht zu denken, denn einerseits fühlte sie sich mies. Sie hatte sie einfach stehen gelassen, weil ihr Freund sie zu den anderen mitgezogen hatte. Jeder musste sich im Leben weiterentwickeln. Das würde doch sowieso nie lange halten, dachte sie sich und sah zu Niclas der seine Aufgaben in der Pause erledigte. Er war so schon und sie liebte ihn über alles. Doch sie dachte nicht daran, dass es nur wegen Natalie so schön war. Niclas hatte es ihr nach einiger Zeit gesagt und sie fühlte sich schlecht, weil sie sich nicht mal bei ihrer allerbesten Freundin bedankt hatte. Sofort versuchte Nina den Gedanken an Natalie zu verdrängen. Es machte ehe keinen Sinn mehr. Natalie musste sie hassen. Sie sah wieder Niclas zu und vertrieb den Gedanken an ihre frühere Freundin.
"Was machen wir heute?", fragte sie Niclas und lief mit ihm den Schulflur entlang. Niclas drückte ihre Hand und lächelte ein schiefes unwiderstehliches Lächeln, dass Nina strahlen ließ. "Du kommst zu mir. Ich habe Zigaretten", sagte er und zog sie zu sich um ihr einen Kuss zu geben. Nina lächelte und freute sich auf den Abend. Sie ging zu Niclas und setzte sich neben ihm auf der Couch um eine zu rauchen. Er gab ihr die etwas komische Zigarette und zündete sie sich an. Sie nahm einen Zug davon und hustete sofort los. Niclas lachte laut und zog sie zu sich. Etwas an der Zigarette war komisch, doch sie ließ sich nichts anmerken und rauchte weiter. Ihre Sinne wurden vernebelt und sie musste lachen. Niclas lachte lauter als gewollt und warf sich auf sie. Ihre Gefühle gingen auf Hochtouren und sie war mehr als glücklich. Nachdem die Zigarette fertig war, versuchte sie sich zu entspannen, konnte es aber nicht, da sie noch immer lachen musste.
Niclas lächelte sie an und beute sich vor, legte seine Lippen auf ihre und küsste sie.
Nina war so benebelt, denn sie hatten sich noch nie geküsst. Sie schlang ihre Hände um seinen Nacken und zog ihn an sich um mit ihm eins zu werden.
Natalie hatte ein ungutes Gefühl mit Nina. Sie veränderte sich. Nicht nur, dass sie sich jetzt schminkte und rauchte. Auch ihre Noten waren nicht die Besten und immer mehr kam sie nicht in die Schule. Am Abend rief jemand auf ihrem Handy an und versuchte sie hereinzulegen. Nina schimpfte mehr und wurde immer respektloser. Am Tag als sie eine sechs bekam, war sich Natalie sicher, dass Niclas kein guter Umgang für sie war. Verzweifelt versuchte Natalie auf sie einzureden, doch es klappte nicht. Nina wurde egoistischer und dachte nur noch an sich. Niclas unterstütze sie bei allem was sie tat und machte sie mit anderen Personen bekannt. Nina war wie ein anderer Mensch. Natalie erkannte ihre beste Freundin nicht mehr und es brach ihr das Herz sie so zu sehen. Sie ging zu Nina nachhause und man hörte Schreie. Sie stritt sich mit ihren Eltern und Natalie konnte es nicht fassen, was sie hörte. Nicht nur, dass Nina schimpfte wie ein Seemann. Nein, sie beschimpfte ihren Vater und verhielt sich total respektlos. Gerade als Natalie an die Tür klopfen wollte, trat Nina heraus und sah sie an.
"Was willst du denn hier", schrie sie und verschwand augenblicklich. Natalie unterdrückte die Tränen und ging nachhause.
Nina rannte zu Niclas und wollte getröstet werden, doch dieser hatte keine Zeit, denn er verabredete sich mit einem Freund. Sie schrie ihn an und erklärte ihm, dass sie niemanden hatte außer ihm. Aber Niclas war es egal. "Such dir wahre Freunde", entgegnete er ihr und nahm seine Zigaretten. Nina ballte die Hände zu Fäusten und biss die Zähne zusammen. Niclas zündete sich eine Zigarette an und inhalierte den Rauch in sich. Er hielt ihr das Päckchen hin.
"Nimm dir eine, dann geht es dir gleich besser", bot er ihr an. Das war zu viel für Nina, denn sie wollte nur mit ihm zusammen sein. Sie schlug ihm die Zigarettenschachtel aus der Hand und rannte weg. Sie hörte nur, wie Niclas hinter ihr her schimpfte und sie aufforderte stehen zu bleiben. Sie hörte nichts mehr, ihr Puls raste und ihre Wut auf etwas einzuschlagen war mehr als groß. Nachhause konnte sie nicht. Andere Freunde hatte sie nicht. Sie spürte Tränen ihre Wange hinab rollen und wollte nur noch getröstet werden.
Natalie saß zu Hause auf ihrem Bett und hörte Musik. Ihre Laune war mehr als trübe und nicht mal der Duft von Pfirsich konnte sie beruhigen. Sie war einfach nur traurig, denn sie dachte dass Nina nicht so wäre. Sie hatte sich getäuscht. Plötzlich jedoch hörte sie ein Klingeln und ging schnell dran um ihre Eltern nicht zu wecken die schon schliefen. Sie öffnete die Tür und stellte überrascht fest, dass es Nina war. Sie weinte und ihr Make-up war verschmiert. Sie zitterte und war viel zu freizügig gekleidet. Sie schluchzte vor sich hin und Natalie befürchtete das Schlimmste. Sie streckte die Hände aus und Nina rannte zu ihr umarmte sie und weinte. Sie sprach nicht, tat nichts. Sie wollte nur jemand, der für sie da war. Natalie verstand sie und sagte ebenfalls nichts. Sie brachte Nina auf ihr Zimmer, gab ihr Sachen zum Anziehen und richtete ihr Waschsachen her. Nina beruhigte sich und nahm alles mit einem gemurmelten Danke an.
Es war sehr spät und am nächsten Morgen würden beide nicht aufstehen. Sie legte sich hin, ließ ihre beste Freundin auf ihrem Bett schlafen, während sie selbst auf den Boden schlief. Sie wünschte ihr eine gute Nacht. Natalie dachte, es wäre noch morgen Zeit zu reden.
Doch am nächsten Morgen als sie aufwachte, war Nina verschwunden. Auf einem Zettel stand "DANKE" drauf und ihre dreckigen Sachen lagen auf dem Boden. Natalie sah auf die Uhr und stellte fest, dass es schon Nachmittag war. Sie hatte die ganze Schule verpasst und wusste, sie würde Ärger von ihren Eltern bekommen. Die Beiden begannen schon um fünf Uhr morgens zu arbeiten und kamen um 14 Uhr zurück. Schnell stand sie auf und rief ihre Klassenkameradinnen an um sie zu fragen, was sie aufbekamen. Von Nina keine Spur, kein Telefonat, gar nichts. Am nächsten Tag ging sie in die Schule und sah ihre Freundin mit Niclas rum stehen. Sie rauchte und lachte, beugte sich vor und küsste ihn. Natalie überkam eine gewaltige Wut, denn Nina trug noch immer ihre Sachen. Sie lief auf die Beiden zu und rief nach Nina. Diese verzog genervt das Gesicht als sie Natalie sah und verließ Niclas kurz.
"Warum hast du mich nicht aufgeweckt", schrie sie herum, so dass alle sie hören konnte. Nina zuckte nur mit der Schulter. Ihr war es mehr als egal, dass Natalie wütend war.
"Ich wollte dich nicht wecken", erklärte sie reuelos und sah zu Niclas, der sich mit Freunden unterhielt. Natalie war so wütend auf sie, dass sie ihr am liebsten eine Ohrfeige geben wollte.
"Ich bin zu spät gekommen", schrie Natalie weiter und konnte nicht fassen, wie Nina nur so locker sein konnte. Sie sah ihre beste Freundin wütend an, doch auch dieses Mal antwortete sie locker.
"Da hast du aber nicht viel verpasst", erklärte sie und nahm sich eine Zigarette heraus. Natalie wurde übel. Sie stieß ihre Ex-Beste Freundin zurück und Tränen traten ihr in den Augen.
"Das war es mit uns beide. Ich hasse dich. Wenn du noch einmal zu mir kommst, verscheuche ich dich. Du bist für mich gestorben", schrie sie und atmete schwer. Nina behielt ihren gleichgültigen Gesichtsausdruck und zuckte nur mit der Schulter.
"Und wen schon", antwortete sie nur. Natalie konnte nicht fassen, was sie hörte. Sie drehte sich rasch um und verschwand. Sie hatte ihre beste Freundin verloren und unterdrückte die Tränen.
Nina war es egal, denn sie hatte sich mit Niclas vertragen. Die beiden kuschelten und er sagte ihr tausend Mal, dass er sein Verhalten bereut. Da sie ihn über alles liebte, ihm ihr erstes Mal gab, vertraute sie nur noch ihm und schwor sich, immer bei ihm zu bleiben. Aber sie ahnte bis da hin noch nicht, dass es die schlimmste Entscheidung war, die sie jemals getroffen hatte.
Denn Niclas sah gut aus, hatte dieses freche Verhalten, was alle Mädchen zum Schmelzen brachte und schlau. Er konnte sich mehrere Mädchen nehmen und sie benutzen. Und plötzlich wurde er aufmerksam auf Natalie. 
 
Kapitel 02: Michaela
 
Michaela saß an der U-Bahn Station Richtung Alexanderplatz und sah sich um. Es war recht spät und sie musste längst im Bett sein, weil es so spät sehr gefährlich für 17-jährige Mädchen war. Aber das kümmerte Michaela nicht. Sie hatte weitaus besseres zu tun, als zu schlafen. Vom weitem sah sie Marius, einen ihrer Freunde. Er lief auf sie zu und hielt Geld in der Hand.
"Hast du es? ", rief sie von weitem, ehe er bei ihr sein konnte. Er nickte lachend und wedelte mit einem 500 Euro Schein umher. "Pack das Geld wieder ein. Es ist gefährlich mit so viel Geld rum zu rennen", zischte sie und Marius lachte nur noch mehr. Für ihn war das egal. Niemand würde ihm Geld klauen, vorher würden viele Knochen brechen. Sie hatte Glück gehabt, denn es gab nicht jeden Tag so viel Geld. Dazu gehörte noch die Gefahr gefasst zu werden. In Berlin wimmelte es nur vor lauter Polizisten. Marius erreichte sie und sie nahm das Geld, hob es in die Höhe um zu schauen, ob es nicht doch gefälscht war. Als sich das Geld als wahr herausstellte, schrie sie vor Freude auf und umarmte Marius. Auch diesen Monat hatte sie genug Geld für Alkohol und Zigaretten. Es war so schwer an Geld heran zu kommen. Da waren 500 Euro ein prachtvoller Gewinn. "So macht man heute Geld", sagte Marius stolz und steckte den lila Geldschein ein. Michaela grinste nur und lief neben ihm her.
Die anderen drei ihrer Freunde brauchten nicht wissen, was sie und Marius jeden Abend taten. Die Schule hatte sie schon längst vergessen. Sie ging nur deshalb jeden Tag dahin, weil sie das Landgericht nicht aufmerksam auf sich machen wollte.
Dazu kam es, dass sie jeden Tag mindestens zwei Stunden verschlief. Ihre Mutter sprach mit ihr, versuchte sie mit Drohungen zu ängstigen, doch Michaela glaubte ihr nicht. Für sie war es nicht mehr wichtig. Früher war es das. Aber sie erkannte die Realität schon sehr früh. Sie wollte studieren, etwas aus ihrem Leben machen, nicht so enden wie ihre Mutter, doch sie sah sich um und erkannte, dass nichts geschehen würde. Ihre Mutter hatte zwei Arbeiten und musste sich zu Tode schuften, nur um leben zu können. Ihr Vater hatte Michaelas Mutter verlassen, als diese noch schwanger war. Dazu bekamen sie noch Kindergeld, was trotzdem nicht reichte. Für sie war jegliche Hoffnung auf ein normales Leben verloren. Sie fing mit 14 an zu rauchen, befreundete sich nur mit Jungs an, denn all ihre frühen Freundinnen waren ihr zu mädchenhaft. Sie alle sorgten sich um ihr Äußeres, hatten Pläne für die Zukunft. Aber vor allem hatten sie eine Familie und ihre Eltern eine Arbeit. Das einzige was sie hatte, war ihre Mutter, die sie nie zu Gesicht bekam.
Michaela war neidisch auf die anderen Mädchen, denn sie hatten all das, was sie schon immer haben wollte.
Von weitem sah Michaela ein paar Jugendliche, die älter waren als sie. Sie schätze sie ungefähr 21, wenn nicht älter. Sie stupste Marius kurz an und als dieser die Jungs auch sah, legte er einen Arm beschützend um Michaela. Beiden gingen mit gesenktem Kopf neben den Jugendlichen her, wagten sie nicht anzusehen. Die Clique sagte nichts und tat auch nichts. Als die beiden Freunde die U-Bahn Station verließen, atmete Michaela erleichtert aus. Auch wenn sie alleine auf sich gestellt war, so wollte sie keinen Ärger mit anderen haben. Sie tat ihre Sachen und die anderen taten ihre Sachen. Marius hatte seinen Arm immer noch um sie gelegt und hatte nicht vor, sie los zu lassen. Er fühlte weitaus mehr als Freundschaft, doch leider hatte er keine Chance bei Michaela. Für sie war eine Beziehung nur unnötiger Stress, denn sie war nicht fähig jemanden zu lieben. Sie hatte niemals das Verlangen gehabt etwas in ihrem Leben zu ändern. Sie wollte immer alleine sein.
"Marius könntest du bitte", fing sie an und deutete auf seinen Arm. "Oh", entgegnete er ihr mit gespielter Ahnungslosigkeit und ließ sie hastig los. Dankend sah sie ihn an und lief weiter. Er jedoch war kurz enttäuscht, dass sie ihn ständig abwies. Michaela wusste nicht wie sie nachhause kommen sollte, denn schließlich wohnte sie im anderen Ende Berlins. "Kommst du zu mir", sagte Marius, so als ob er ihre Gedanken lesen konnte. Leicht lächelte sie ihn an und nickte. Sie würde schlafen und morgen mit ihrem besten Freund zur Schule gehen.
Anders als Michaela hatte Marius eine normale Familie. Seine Eltern waren nett und manchmal wünschte sich Michaela auch so eine Familie zu haben. Sie fragte sich, warum Marius das immer tat? Er hatte es nicht nötig zu rauchen und auch nicht Drogen zu verkaufen. Er hatte eine Chance auf ein Leben, das sie nie haben würde. Doch Marius, war das alles zu langweilig. Er hatte ihr einmal erzählt, dass es ihn aufregte, immer das zu tun, was seine Eltern von ihm verlangten.
"Du bist unabhängig", hatte er mal gesagt. Michaela lachte nur verächtlich. Er wusste nicht, was es hieß jeden Tag auf sich alleine gestellt zu sein. Nie das zu bekommen, was man wollte. Immer mit der Angst leben, man könnte noch tiefer sinken als man es schon war. Außerdem war sie nicht ganz unabhängig. Ihre Mutter versuchte alles zu tun, nur damit ihre Tochter sich wohler fühlte. Aber Michaela gab sich nicht zufrieden mit dem was sie hatte. Das Einzige was sie immer im Leben haben wollte war, eine Familie eine Arbeit und eine glückliche Kindheit. Aber nichts davon war der Fall.
Hinzu kam, dass andere anfingen sie zu beleidigen. Sie nannten sie Gammlerin und lachten sie aus. Sie fühlte sich mies, hielt immer die Klappe und tat nichts, aber eines Tages reichte es ihr. Sie war jemand und sie konnte etwas. Also fing sie an, sich mit jedem zu schlagen, der sie nervte. Für gewöhnlich ließ sie jeden in Ruhe, aber provozierte sie jemand, so schlug sie zu.
Die Lehrer verständigten Michaelas Mutter und erklärten das Benehmen ihrer Tochter, doch ihre Mutter verteidigte sie.
"Sie wehrt sich nur", hatte sie gesagt. Die Lehrer verstanden Michaelas Mutter nicht. Also entschieden sie, ihr Strafen für ihr Benehmen zu geben.
Marius wurde daraufhin ihr Freund. Er fand sie einfach nur faszinierend, denn keins der anderen Mädchen war so. Keins benahm sich wie ein Junge. Keins der Mädchen war es egal, wie sie aussah. Aber Michaela schon. Bei ihr zählte es, wie jemand innerlich war. Stimmte der Charakter, so stimmte auch der Rest. Auf Schönheit gab sie keinen Acht. Marius war sich sicher: Michaela war ein wunderbarer Mensch. Sie wurde nur oft genug enttäuscht und hatte eine Wut in ihr, die sie nirgends herauslassen durfte.
Als beide bei Marius zuhause ankamen, gab er ihr das Geld. Michaela sah ihn überrascht an.
"Behalte es", meinte er und lächelte sie an. Sie verstand ihn nicht, doch Marius tat dies alles auch nur wegen ihr. Das Geld war ihm egal. Er wollte nur, dass es ihr gut ginge. Er wollte Zeit mit ihr verbringen und ihr in allem helfen.
"Du hast doch alles getan. Du hast es dir verdient", erklärte sie total verlegen und schob seine Hand mit dem Geld von sich.
Marius lachte, nahm den Geldschein und steckte es in Michaelas Jackentasche.
"Komm, lass uns hinauf gehen. Du rufst deine Mutter an, sagst ihr wo du bist und dann essen wir eine Kleinigkeit", erklärte er. Mit dem Vorschlag ihre Mutter anzurufen, war Michaela nicht zufrieden, doch wenn Marius das wollte, dann würde sie es tun. Schließlich gab er ihr 500 Euro. Das war das mindeste was sie für ihn tun konnte.
Zusammen gingen die beiden Jugendlichen zum Haus und Michaela tat das, was Marius ihr sagte. Sie rief um 2.00 Uhr morgens ihre Mutter an und erklärte ihr, dass sie bei ihrem Freud übernachten würde. Als Michaela dachte, ihre Mutter würde sie sofort zwingen nachhause zu kommen, täuschte sie sich, denn Inka war froh, dass sie sich wenigstens gemeldet hat.
"Komm aber morgen nachhause ja? ", fragte sie müde. Michaela versprach es ihr und legte auf. Etwas war komisch, aber sie befasste sich nicht damit. Jedoch wusste sie nicht, dass Marius Inka schon vorgewarnt hatte. Alles in allem, konnte Inka Marius gut leiden. Sie erkannte, dass der Freund ihrer Tochter, sie richtig mochte. Anders vielleicht als Michaela.
Es war ein anstrengender Tag für sie gewesen. Sie musste umher laufen, hatte Schule und war nun total müde. Sie wollte zur Küche, als sie plötzlich Marius kleine Schwester sah. Die siebenjährige Lisa rieb sich die Augen und sah Michaela verträumt an. Michaela lächelte sofort als sie die Kleine sah. Lisa war ihr sehr sympathisch und manchmal wünschte sie sich eine kleine Schwester zu haben. Sie lächelte die Kleine an und nahm sie in ihren Armen.
"Hey. Was machst du denn so spät noch auf? ", fragte sie und Lisa rieb sich wieder die Augen. "Ich habe Durst", erklärte sie und Michaela brachte sie sofort in die Küche, wo sich auch Marius befand. Als er seine Schwester mit seiner besten Freundin sah, grinste er frech, jedoch schwoll sein Herz an. Dass Michaela gut mit kleinen Kindern auskam, war gut und er fragte sich, warum sie keine Ausbildung als Erzieherin tat?
"Was macht Lisa so spät noch wach", fragte er und machte sich ein belegtes Brötchen für Michaela. Diese ließ Lisa los und ging zu ihm, nahm das Brötchen aus seiner Hand, öffnete es und nahm das Grünzeug heraus.
"Sie hat Durst", meinte sie nur und warf das Salatblatt in den Biomüll. Marius ging zu seiner Schwester, hob sie hoch und setzte sie auf die Küchenspüle. Er öffnete den Kühlschrank und nahm eine Flasche Orangensaft heraus. Nachdem er seiner Schwester in einem Plastikbecher etwas einschenkte, meldete sich auch Michaela.
"Will auch", flüsterte sie und Marius lächelte. Konnte sie nicht zu jedem so sein?, fragte er sich insgeheim. Nachdem das erledigt war, ging Lisa ins Bett und Marius machte auch sich ein Brötchen.
"Ich geh schon mal ins Zimmer und zieh mich um", sagte sie und lief vor. Marius räumte noch den Rest weg und folgte ihr. Als er in sein Zimmer ging, saß Michaela schon fertig angezogen auf seinem Bett. Sie trug seine Sporthose und sein T-Shirt. Er lächelte und schloss die Tür, damit seine Eltern nicht wach wurden. Er gab Michaela das Brötchen und zog sich um. Als er kurz ins Bad verschwand, aß Michaela das Brötchen auf und legte sich mit einem zufriedenen Lächeln hin. Nachdem Marius wieder kam, musste er schmunzeln. Michaela war eingeschlafen.
Nachdem er sie zudeckte, legte er sich neben sie und schlief ebenfalls ein.
Am nächsten Tag machten sie sich auf den Weg zur Schule. Michaela wollte nicht hin, doch Marius zwang sie. Sie erreichten das Schulgebäude in der vierten Stunde und störten den Englischunterricht. Die Lehrerin sah Michaela tadelnd an und Michaela erwiderte den Blick arrogant. Sie fragte sich, warum niemand Marius dumm anmachte. Dieser setzte sich nur leise auf seinen Stuhl und schlug seine Sachen auf.
Max, Kevin und Joshua winkten kurz mit der Hand ehe sie wieder den Unterricht folgten. Michaela versuchte mitzuarbeiten, meldete sich ein paar Mal und gab immer die richtigen Antworten. Es war nicht so, dass Michaela dumm war. Sie konnte etwas, nur war ihre Laune nicht immer die Beste. Und das hatte etwas mit der Klasse zu tun. Die Mädchen sahen sie an und flüsterten unter sich und die Jungs beschmissen sie mit Papierkügelchen. Michaela versuchte es zu ignorieren und sie schaffte es auch bis zur Pause. Als es klingelte und sie aufstand um in die Pause zu gehen stoppte sie ein Junge namens Timo. Er war der Klassensprecher und verlangte Respekt von jedem seiner Mitschüler. Nur Michaela respektierte ihn nicht. Sie sah ihn wütend an. "Gibt es etwas was du willst Timo", fragte sie und wollte gehen. Doch Timo hielt sie fest. Er provozierte sie nur. Das ließ sich Michaela aber nicht gefallen. Niemand durfte sie einfach so anfassen. Sie holte aus und gab ihm einen Faustschlag in den Bauch. Timo wich jedoch schnell zurück und griff nach ihren Haaren. Das ging zu weit. Michaela fing an um sich zu schlagen. Timo zerrte nur immer mehr an ihren braunen langen Haar und sie schrie vor Schmerz auf.
Marius kam hinzu und half seiner Freundin. Max, Kevin und Joshua versuchten Timo zurück zu ziehen. Sie schafften es, jedoch wurde Michaela ein Stück Haar heraus gerissen. Mit Tränen in den Augen warf sie sich wieder Timo zu und schlug auf sein Gesicht ein. Sie schaffte es ihm die Nase zu brechen, sodass er aufschrie. Eins der Mädchen bekam Angst und rief einen Lehrer. Und nach wenigen Minuten war das Drama vorbei. Der Lehrer zog Michaela grob zurück.
"Du kommst mit mir sofort", schrie er und zog sie aus der Klasse. Marius wollte mitgehen, den Lehrern alles erklären, doch Herr Hermann ließ es nicht zu. Er hatte die von Michaela genug und würde sie sofort zu Rino schicken.
"Wird Zeit, dass du erwachsen wirst", meinte er und öffnete die Tür des Sozialarbeiters. Rino saß auf seinen Stuhl und überarbeitete eine Schulakte. Als er Michaela sah, lächelte r sie freundlich an und erhob sich. Herr Hermann nickte Rino nur zu und verließ das Büro. Michaela schnaufte wütend und biss die Zähne zusammen. Immerhin hatte Timo angefangen sie zu provozieren.
"Michaela. Setzt dich", bot er ihr an und zeigte mit der Hand auf einen Stuhl. Michaela ballte die Hände zu Fäusten.
"Lassen Sie mich in Ruhe. Ich hasse die Schule. Ich hasse jeden", schrie sie und öffnete die Tür. In diesem Moment prallte sie auf Nina ein und beide fielen hin. Nina jauchzte auf und rieb sich die Hände, da sie darauf gefallen war. Michaela erhob sich und schrie sie an.
"Kannst du nicht aufpassen", schrie sie das fremde Mädchen an und verschwand hinaus. Nina, war zu sprachlos. Immerhin war sie in Nina hineingerannt. Sie sagte nichts, sah dem Mädchen mit den braunen Haaren hinterher. Rino, der das alles beobachtete, musste etwas tun um Michaela zu helfen.
"Nina. Komm doch rein", sagte er und half dem Mädchen auf. Sie ging hinein und fing an über ihr Problem zu erzählen. Rino jedoch hörte nur mit halbem Ohr zu, denn seine Gedanken kreisten immer noch um Michaela. Er machte sich Sorgen um die 17-jährige.
 
Kapitel 03: Miriam
 
Miriam stand vor dem Spiegel, betrachtete ihr Aussehen und Tränen trieben sich in ihren Augen. Nicht nur, dass sie eine aufgeplatzte Lippe hatte, ihr Auge war blau und angeschwollen. Das ging zu weit. Sie hatte alle ignoriert, alles getan, damit sie die anderen Schüler in Ruhe ließen. Jedoch ging das zu weit.
Sie war immer freundlich zu jedem gewesen, hatte keinen Grund jemanden zu hassen oder zu belügen. Ruhig war sie und sie sagte nicht viel, das nutzen viele aus. Mit ihren Freundinnen verstand sie sich gut. Nur mit Saskia nicht. Sie war immer so eine Person, die alles machen wollte. All die anderen Mädchen in ihrer Klasse taten was Saskia wollte, aber Miriam gehörte nicht dazu. Sie hatte ihren eigenen Willen, und wenn sie etwas nicht machen wollte, tat sie das auch nicht.
Saskia gefiel das nicht besonders, also tat sie alles Mögliche um Miriam zu verletzten. Sie brachte jeden dazu, Miriam zu hassen - oft erzählte sie Lügen, setzte irgendwelche Gerüchte in die Welt. Die meisten ihrer früheren Freundinnen, hassten sie und das zeigte Miriam, dass es keine richtigen Freunde waren. Es waren alles Mitläufer.
Miriam blieb stark, ignorierte ihr Lästern und ihre Beleidigungen. Sie war stark und es war ihr egal. Immerzu wurde sie besser in der Schule, freundete sich mit anderen Leuten an, doch seltsamerweise, wurden sie nach einer Woche wieder getrennt. Miriam wusste genau, dass Saskia dahinter steckte. Es machte sie wütend, denn sie hatte sich in ihr so sehr getäuscht. Einmal war sie zu ihr gegangen und hat sie gefragt warum sie das tat. Saskia schnaubte nur und kehrte ihr den Rücken. Es tat Miriam weh, wie Saskia einfach so davon ging, doch das ließ sie nicht zurückschrecken.
Heute war wieder einer der Tage, an dem Miriam am liebsten zuhause geblieben wäre, doch ihre Eltern würden Verdacht schöpfen und das wollte sie mit allen Mitteln vermeiden. Sie wollte nicht zeigen, dass sie Hilfe brauchte. Auch mit den Lehrern sprach sie nicht, weil sie sich ansonsten so schwach fühlte. Mit niemand sprach sie und das belastete sie zusätzlich.
Tim, ein Junge aus ihrer Klasse, war der einzige, der sie ansah und immer wieder Mitgefühl zeigte. Er begrüßte sie, wenn die anderen nicht da waren. Auch im Chat sprachen sie aber nicht sehr oft. Am meisten störte es Miriam, wenn man sie im Chat beschimpfte. Sie las letztens, dass Saskia sich lustig über ihre Frisur gemacht hatte. Obwohl Miriam einen gewöhnlichen Haarschnitt hatte, verletzte es sie. Sie hatte lange braune Haare mit einem kleinen Pony. Ihre Haut war leicht gebräunt und ihre grünen Augen strahlten. Ihre Lippen pflegte sie immer mit einem leichten Labello.
Im Grunde war sie mehr als gewöhnlich. Nichts was man zu beneiden hatte. Aber trotzdem schaffte es Saskia sie immer schlecht darzustellen. Sie nahm Miriams Schwächen und machte daraus ihre Stärken.
Sie betrat das Klassenzimmer und stieß ein Gebet zum Himmel, und wünschte sich dass Saskia nicht da war. Aber sie war da und sie sah Miriam schön angriffslustig an. Die anderen Schüler taten so, als ob es sie gar nicht gab. Langsam setzte sie sich auf ihren Platz und wartete, dass die Lehrerin herein kam. Saskia saß hinter ihr und Miriam spürte ihre Blicke auf ihrem Rücken. Tim kam kurz vorbei und lächelte traurig. Dabei verzog er das Gesicht so sehr, dass es aussah wie eine Grimasse. Miriam brachte ein Auflachen heraus und somit wurde die ganze Klasse leise. Alle sahen sie an, denn sie sagte nie ein Wort. Tim grinste nun richtig und blieb vor ihr stehen. Er war froh, dass sie auf seine Anspielung reagierte.
"Wie geht's?", fragte er sie und Miriam strich ihr Haar schüchtern nach hinten.
"Gut und dir?", fragte sie ebenfalls und sah sich um. Jeder sah sie an. Tim nickte und war sichtlich froh, dass Miriam wenigstens etwas sagte. Saskia gefiel das natürlich überhaupt nicht und somit überlegte sie etwas um sie wieder zu verletzten.
Miriam lächelte und war froh einen Fortschritt gemacht zu haben, aber als sie zu Tim sah, erstarb ihr Lachen. Er sah fast schon erschrocken hinter ihr, und bevor Miriam seinen Blick folgen konnte, hörte sie ein kleines dumpfes Geräusch.
Etwas hinderte sie daran nach hinten zu schauen - schließlich drehte sie sich doch um. Saskia hielt eine Haarsträhne in ihrer Hand und warf sie auf den Boden. Miriam folgte dem Blick ihrer Haare. Als diese zu Boden fielen, sah sie Saskia wieder an. Das Gefühl, das sich in ihr aufbaute war eine unbeschreibliche Wut.
"Upss. Entschuldige. Das war nicht meine Absicht", sagte sie verlogen.
Miriam blieb erstarrt, sah auf ihr Haar, das unten auf den Boden lag. Dann sah sie Saskia erneut an. Immer wieder glitt ihr Blick von Saskia zu ihrem Haar und wieder zurück. Diese lächelte boshaft. Ab dem Moment war alles ruhig. Niemand sagte ein Wort und die Stille war unangenehm. Es war wie die Stille vor dem Sturm. Als Miriam nun wirklich realisierte was geschehen war, stand sie auf und fand sich im nächsten Moment mit Saskia auf den Boden. Sie hatte sich auf sie gestürzt und zog an ihren Haaren. Es war ihr egal. Zu lange hatte sie sich fertig machen lassen. Das ging zu weit und die Haare eines Mädchens waren sehr empfindlich. Miriam liebte ihre Haare und pflegte sie. Und dann kam Saskia und schnitt ihr welches ab. Das war Körperverletzung. Aber anzeigen würde sie sie nicht. Sie würde sie umbringen.
Immer wieder zog sie an Saskias Haaren und diese schrie wie am Spieß. Es war für Miriam unwichtig. Sie genoss das schmerzliche Kreischen. Von hinten spürte sie, wie sich zwei Arme um ihren Bauch schlangen und sie zurückzogen.
"Miriam. Begib dich nicht auf ihrem Niveau", sagte Tim und zog sie zurück. Da Tim stärker war, gab Miriam nach, doch ihre Hand lockerte sich nicht. Am Ende stand sie neben Tim und hielt blonde Haare an ihren Fingern. Saskia schrie und weinte, aber das war ihr egal. Die Wut war weg und sie fühlte sich befreit.
"Werde nicht so schlimm wie sie", flüsterte Tim, während die Tür aufgemacht wurde. Der Lehrer trat ein und sah sich das ganze Chaos an. Die Klasse war mehr als überrascht. Die meisten saßen mit offenem Mund da, denn sie trauten so etwas Miriam nicht zu. Für sie war Miriam ein Nichts. Schwach und hilflos. Andere packten ihr Handy weg und Miriam ahnte, dass sie etwas aufgenommen hatten.
"Miriam", sagte der Lehrer streng und Miriam ließ Saskias Haare so fallen, wie diese ihre fallen gelassen hatte.
"Komm sofort mit. Und Tim, du kommst auch mit", sagte er und nach wenigen Minuten verließen beide das Klassenzimmer.
Miriam lief den Weg zum Direktor und hatte Angst. Sie wollte nicht, dass ihre Eltern etwas davon erfuhren und doch würden sie es. Tim sah sie aufmunternd an.
"Ich kann dir helfen", flüsterte er ihr zu. Miriam sah ihn fragend an und bat ihn stumm um Hilfe. Er lächelte leicht und sagte zwei Worte:
"Rino Rheinhard".
Sie hatte mit Rino geredet und einen Termin vereinbart, doch das, was am selben Nachmittag folgte, war der Todesstoß. Sie fand zufällig einen Link auf ihrem Blog in facebook, auf dem sie und Saskia zu sehen waren. Darunter lies sie die Kommentare. "Miriam hat nichts drauf, was bildet die sich ein, Saskia so zu verletzten. Man müsste mal dasselbe mit ihr machen", schrieb die eine. "Geschieht ihr gerade recht", meinte der andere. Tränen sammelten sich in ihren Augen, denn sie fand es unfair gegenüber ihren Mitschülern. Immerhin hatte doch Saskia angefangen, doch natürlich glaubte jeder nur Saskia. Sie klickte auf das Bild und es erschien eine Seite, die das Video abspielte. Sie sah sich alle an und las weitere Kommentare, auf denen sie fertig gemacht wurde. Und das Schlimmste war, dass dieses Video sehr oft abgespielt wurde. Ihr Atem beschleunigte sich und ihr Körper fing an zu zittern. Zum Glück waren ihre Eltern nicht zu Hause, denn sonst würde sie noch mehr Ärger bekommen. Zwei Wochen Hausarrest reichten ihr aus, sie musste nicht wegen eines dämlichen Videos vier Wochen bekommen. Die Tür klingelte und sie ging langsam und sah durch das Türloch. Tim stand da und wartete. Sie seufzte leise und öffnete die Tür. "Hast du es gesehen? ", fragte er und Miriam nickte automatisch. Das war genug, sie fing an zu weinen und Tim hielt sie fest, versuchte so gut es ging, sie zu trösten. Nachdem sie sich einigermaßen beruhigt hatte, gingen sie ins Wohnzimmer und Tim machte sich dran, das Video zu sperren. "Du musst es jedem sagen. Saskia hat angefangen nicht du", erklärte er ihr und Miriam schluchzte auf. "Sie werden mir nicht glauben", erklärte Miriam hoffnungslos und sah auf ihre Hände. Ihr Kopf rückte nach oben als Tims Hand unter ihrem Kinn glitt.
"Hab doch mehr Vertrauen in dich", bat er und lächelte sie aufmunternd an.
Miriam schluckte den Kloß erneut hinunter und Tim nahm sie im Arm. Er würde für sie da sein, da auch sie jemand brauchte, der zu ihr stand. Aber für Miriam zählte das nicht. Sie fühlte sich einfach allein und bedeutungslos. 
 
Kapitel 04: Katrin

Katrin lackierte sich gerade die Fingernägel, als sie aufschaute.
Ihre Freundin Lilian sah sie wissend an und lächelte.
"Raus mit der Sprache. Mit wem warst du draußen", fragte sie aufgeregt und senkte den Pinsel in den Nagellack. Katrin lachte nur und lackierte ihre Fußnägel weiter. "Mit niemanden", antwortete sie und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe. Lilian glaubte ihr natürlich kein Wort, denn es war klar wie Kloßbrühe, dass sie mit einem Jungen draußen war. Allein ihr Gesichtsausdruck sprach tausend Sprachen.
"Katrin ich kenne dich mehr als vier Jahre. Ich weiß genau, wann etwas passiert ist. Mir kannst du nichts geheim halten", erklärte Lilian ihr und verschloss den Nagellack, da sie schon alle Zehennägel gefärbt hatte.
"Ach es war nur irgendein Junge. Nichts Besonderes", nuschelte Katrin.
Sie liebte diese Freitagabende. Dann saß sie immer mit ihrer Freundin und sie erzählten sich alles. Die Woche war anstrengend und Katrins Nerven wurden strapaziert. Es war alles in Ordnung. Die Schule lief super gut. Sie hatte mit niemand Streit. Niemand hasste sie. Auch die Lehrer lobten sie. Ein paar Jungs waren in sie vernarrt. Sie war beliebt und sehr nett. Ihre Freundinnen hatten nichts an ihr auszusetzen. Es war alles normal und Katrin war mehr als zufrieden.
Auch mit ihren Eltern hatte sie ein super Verhältnis. Aber das war bis vor einer Woche so. Bald würde Katrin ihren Hauptschulabschluss bekommen - einerseits freute sie sich darauf, andererseits machten ihre Eltern ihr Druck. Ihr Vater wollte, dass sie in die Berufsfachschule Technik geht. Ihre Mutter war für die Hauswirtschaft. Immerzu drängten sie ihre Eltern etwas zu machen. Das machte Katrin echt fertig. Sie nickte und sagte immerzu ja um ihre Eltern nicht zu enttäuschen. Aber Katrin selbst wollte die Mittlere Reife absolvieren. Ihre Noten stimmten und sie hatte es mal ihrer Mutter erwähnt, doch diese stritt es ab.
"Such dir eine Ausbildung oder geh auf eine Fachschule. Mittlere Reife wird zu schwierig für dich", hatte sie gesagt und damit war das Thema auch für sie erledigt. Seit diesem Tag war sie schlecht gelaunt. Es ihren Vater zu erzählen, wagte sie nicht. Wenn ihre Mutter so reagiert hatte, dann würde ihr Vater ausrasten. Also schwieg sie und sammelte den Druck in sich. Würde es Lilian nicht geben, dann würde sie platzen. Diese merkte Katrins Schweigen und wusste sofort, dass sie deshalb nachdachte. Sie beugte sich zu Katrin vor und nahm ihr Gesicht in ihre Hände.
"Katrin. Mach dir keine Sorgen", sagte sie tröstend und sah sie an. Katrins Mundwinkel sanken noch mehr und sie wandte den Blick ab. Es war ungerecht für sie. Warum durfte sie nicht das machen, was sie wollte. Lilian durfte machen, was sie wollte. Sie würde nächstes Jahr die 10. Klasse machen. Und Katrin musste das tun, was ihre Eltern von ihr verlangten. Das Schlimmste an allem war, dass sie sich nicht traute etwas zu sagen und deshalb beneidete sie Lilian. Diese scheute sich nicht etwas für sich zu behalten. Wenn sie eine klare Meinung über etwas hatte, dann sagte sie es auch.
"Lilian. Du kannst dir nicht vorstellen was für ein Druck das ist. Ständig diese Sorgen. Es ist so, als ob du keine andere Wahl hättest", nörgelte sie und Lilian ließ ihre Wangen los. Sie verstand Katrin wirklich nicht, aber um sie nicht zu kränken stimmte sie ihr zu. Sie war immer für Katrin da.
"Ich verstehe dich Katrin. Aber du musst etwas sagen", erklärte ihre Freundin ihr und setzte sich wieder zurück. Katrin seufzte. Lilian verstand sie nicht.
"Nein du verstehst nicht. Es ist schwer so was stand zu halten. Du musst ständig zu allem ja sagen, weil du Angst hast, sie könnten sagen, du taugst zu nichts. Lilian, es ist so demütigend", meinte sie etwas lauter als gewollt und entspannte sich wieder. "Die Meinung nicht sagen zu dürfen", jammerte sie und packte die Nagellacke weg. Plötzlich klopfte es an der Tür und Katrins Mutter kam herein.
"Was ist demütigend?", fragte sie lächelnd, hatte aber das Gespräch nicht mitbekommen. Katrin steckte den Lack in ihren Korb und sah sie lächelnd an.
"Das war ein Junge aus meiner Klasse seiner Freundin antut", log sie und setze sich zu Lilian. Ihre Mutter nickte nur verständnisvoll und gab ihr einen Stapel Papier. Katrin wollte sofort aufschreien und verschwinden, denn sie ahnte, was darauf stand. Langsam nahm sie den Stapel und las ihn sich durch.
"Das sind Firmen und Adressen. Und ich habe auch ein Berufsschule-Anmeldeformular für die Hauswirtschaft geholt", prahlte ihre Mutter und setzte sich zu den beiden Mädchen. Lilian erkannte das falsche Lächeln ihrer Freundin und las mit. Es waren haufenweise Adressen von Kindergärten, Altenpflegen und Hotels. Katrin las sich nichts durch. Sie tat nur so. Am liebsten würde sie den Stapel verbrennen. Der Druck in ihrem Bauch ging bis zu ihrem Hals und drohte sie zu ersticken.
"Danke Mum. Ich lese es mir in Ruhe durch", sagte sie und hielt ihr falsches Lächeln aufrecht. Ihre Mutter umarmte sie und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Dann stand sie auf und wollte das Zimmer verlassen. Sie sah wieder zu ihrer Tochter. Stolz lag in ihren Augen. Katrin fühlte sich unwohl. Lilian schwieg.
"Ich bin so stolz auf dich", sagte sie und verließ das Zimmer. Nachdem die Tür geschlossen war, schmiss Katrin den Stapel zu Boden. Ihre Wut war groß.
"Ich halte das nicht mehr aus. Ich hasse es", giftete sie leise und stand auf, begann hin und her zu laufen. Lilian nahm die Stapel und sah sich alles an.
"Und das nur um ein Ich bin stolz auf dich zu hören", nuschelte sie und Katrin stoppte. Sie sah Lilian unglaublich an. Vielleicht hatte sie sich verhört.
"Es geht nicht darum Lilian. Ich will das einfach nicht", meinte sie und nahm den Stapel aus ihrer Hand. Sie legte ihn in ihre Schublade.
"Ich will machen, was ich will", sagte sie und schloss die Schublade. Lilian hatte sie schon verstanden, wollte aber, dass sich Katrin öffnet. Und das geschah nur, wenn sie wütend war.
"Dann sag doch etwas du Weichei", meinte sie gespielt locker. Sie war nervös, denn der Schuss konnte nach hinten losgehen. Katrin könnte mit ihr streiten, was sie nicht hoffte. Sie hatte aber Glück, denn Katrin entspannte sich.
"Ich soll was sagen?", fragte sie wütend und sah ihre Freundin an. Lilian hatte sie noch nie so rasend gesehen und nickte nur leicht. Vielleicht war das nur ein Fehler. Aber darüber nachzudenken war zu spät, denn Katrin lachte energisch auf. Lilian war sich bewusst, dass sie einen Fehler getan hatte.
"Na gut. Dann pass mal auf", meinte sie und stürmte aus dem Zimmer. Lilian folgte ihr schnell und sah sich an, was ihre Freundin machen wollte. Katrins Mutter kochte gerade zu Abend, als sie in die Küche trat.
"Mama. Ich gehe nicht in die Hauswirtschaftsschule", sagte sie klar und sah sie an. Ihre Mutter legte den Löffel bei Seite und wischte sich die Hände. Fragend und sichtlich irritiert sah sie ihre Tochter an. Sie fragte sich, warum Katrin wütend war. "Was ist denn los Spatz?", fragte sie. Katrin hob die Hände abwehrend, als ihre Mutter sie in ihre Armen nehmen wollte.
"Ich will das alles nicht mehr. Ich habe es satt. Von dir und Papa. Ich werde in keine Berufsfachschule gehen", sagte sie und trat zurück. Ihre Mutter war enttäuscht, ging zwei Schritte zurück und dachte darüber nach, welche Gründe es für so ein Verhalten geben konnte.
"Gut. Willst du dir eine Ausbildung suchen?", fragte sie und sah zu Lilian, der das alles etwas unangenehm war. Und sie gab sich dafür die Schuld.
"Nein. Ich werde die Mittlere Reife machen", sagte sie jetzt etwas ruhiger. Ihre Mutter stand auf, wurde wütend. Katrin würde es nach ihrer Meinung nach nicht schaffen. Melinda, wollte nicht, dass ihre Tochter nichts erreicht. Aber sie wusste auch nicht, dass Katrin Klassenbeste war. Katrin hatte ihr nichts gesagt, weil sie ansonsten wieder prahlen würde.
"Du wirst es nicht schaffen", meinte sie nur und verschränkte die Hände vor der Brust. Katrin schnaubte verächtlich auf.
"Wie kannst du nur kein Vertrauen gegenüber deiner Tochter haben. Ich kann das", sagte sie und legte ihre Hände an die Hüften. Ihre Mutter schnaufte auf und nahm den Kochlöffel. Darüber würde sie jetzt nicht streiten. Nicht nur, dass Lilian so was nicht mithören musste, nein Katrins Vater sollte dies auch erfahren.
"Ich werde nicht weiter darüber diskutieren. Du wirst die 10. Klasse nicht machen. Und wenn dein Vater nach Hause kommt, wirst du auch mit ihm darüber sprechen", sagte sie leise und kochte weiter.
"Mama", schimpfte Katrin, doch ihre Mutter hörte ihr nicht zu. Sie ließ ein wütendes Zischen aus ihr heraus und ging ins Zimmer.
Lilian war das alles schrecklich unangenehm, denn es war ihre Idee. Sie wollte doch nur, dass Katrin aus sich heraus kam. Doch das Problem lag nicht an Katrin sondern an ihren Eltern. Sie trat in Katrins Zimmer ein und sah sie auf dem Bett liegen. Da sie schluchzte nahm Lilian an, dass sie weinte. Und so war es. Katrin weinte, denn sie hatte Angst vor ihrem Vater. Früher war alles anders.
Sie und ihr Vater hatten ein gutes Verhältnis, doch jetzt, da sie größer wurde, brach dieses Verhältnis immer mehr. Und da er immer schrie, wenn er wütend war, hatte sie noch mehr Angst. Lilian setzte sich neben ihre Freundin und legte ihre Hand beruhigend auf Katrins Kopf.
"Hey. Mach dir keine Sorgen. Wir gehen einfach zu Herrn Rino. Der wird dir helfen", sagte sie und hoffte Katrin würde ihr zustimmen. Doch diese war zu sehr abgelenkt.
Sie weinte den ganzen Abend und legte sich früh schlafen. Sie aß nichts und Lilian weigerte sich auch. Bevor ihr Vater nachhause kam, gingen sie schlafen. So konnte er nichts sagen. Das ganze Wochenende würde Lilian bei Katrin bleiben. Das war gut, denn sonst könnte ihr Vater nicht mit ihr streiten.
Am Sonntagabend war sich Katrin sicher. Sie würde zu Rino gehen um sich und ihren Eltern helfen zu lassen. 
  
Kapitel 05: Rino
 
Ich saß in meinem Büro und las mir die Akten der vier Mädchen durch. Jedes war am selben Nachmittag aufgetaucht und ein paar davon kannten sich. Es war amüsant zu beobachten, wie es war, wenn vier verschiedene Menschen sich zusammentun mussten, um ein Problem zu lösen. Ich fand das recht interessant, eben deshalb, weil sie verschieden waren und sich aber trotzdem nicht voneinander unterschieden. Sie haben die gleiche Meinung über die Menschen in ihrer Umgebung. Es würde schwer werden. Für mich und für die Mädchen, aber sie mussten es schaffen. Der Termin stand. Ich wollte wirklich wissen, ob jeder kommen würde. Denn das Wichtigste war nicht, wie man der Person helfen sollte. Nein, das Wichtigste war die Frage, ob eines der Mädchen überhaupt geholfen werden wollte. Wenn man gezwungen wird es zu tun, dann lernt man nicht. Im Gegenteil: Es wird immer schlimmer. Deshalb stand den Mädchen alles offen. Würden sie auftauchen, so würde ich wissen, dass sie wollten, dass man ihnen hilft. Würden sie nicht auftauchen, so würden sie Hilfe nicht wollen. 
Ich sah auf die Uhr. Es war Punkt 16.00 Uhr. Keines der Mädchen war aufgetaucht. Hätte ich eigentlich wissen müssen. Viele Jugendliche wollen keine Hilfe. Es tat mir bis zu einem bestimmten Punkt leid, denn ich wollte Jugendlichen helfen, sich zu bessern. Ich tat es weder wegen des Geldes noch wegen höheren Ansehens. Ich tat es, weil ich es wollte. Aber wie es schien, wollten die Mädchen nicht. Gerade als ich meine Tasche nehmen wollte, um Sachen einzupacken, klopfte es an der Tür. Ich schaute überrascht auf. 
"Herein", bat ich höflich. Und tatsächlich kam eines der Mädchen herein. Wenn ich mich nicht täuschte, dann musste es Michaela sein. Sie war um die 1 Meter 70 groß, hatte lange braune Haare, war etwas voller, jedoch nicht dick. Sie erinnerte mich ein bisschen an meine Tochter. Sie war nun im Ausland und lebte dort mit ihrem Mann. Michaela ähnelte ihr sehr. Sie kam mit gesenktem Kopf herein, so als würde sie sich schämen oder ergeben.
"Du bist zu spät, was ist passiert?", fragte ich und setzte mich wieder zurück. Meine Tasche ließ ich auch nieder. Michaela setzte sich und sah verlegen auf den Boden. Es war komisch sie so zu sehen. Sie wirkte von außen her stark. Aber dass sie nun so beschämt da saß, war mir völlig fremd. Sie hatte mir noch nicht geantwortet. Und als ich dachte sie würde es nicht tun, so sprach sie: "Ich habe den Zug verpasst", meinte sie leise und sah auf den Boden. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Das glaubte ich ihr nicht. Ich wusste genau, wo die Mädchen wohnten. Sagen würde ich es aber nicht, denn ich wollte sie nicht wütend machen. Die meisten Schüler warteten nur auf diesen Moment. um dann doch flüchten zu können. Also lehnte ich mich zurück und nickte verstehend. 
"So warten wir auf die anderen, oder sollen wir schon beginnen?", fragte ich. Michaela sah auf, suchte etwas im Raum herum und dann sah sie mich irritiert an. 
"Nur ich und du sind hier", sagte sie und stoppte. "Tschuldigung. Sie", nuschelte sie peinlich berührt und sah wieder auf den Boden. Nun grinste ich. Michaela war lustig und das mochte ich so an Jugendliche. Sie sollte so sein, offen und gutherzig. Sie hatte nicht einen Grund so zu sein. "Sag ruhig du zu mir", erklärte ich. Die Jugendlichen sollten uns als Freunde ansehen und nicht als Lehrer oder Ärzte oder was sonst noch. Wir versuchten eine Art Beziehung mit den Jugendlichen zu führen. Es war besser, denn das Vertrauen wuchs mit der Zeit. Michaela lächelte leicht und sah sich noch einmal um.
"Ist das dein Büro? ", fragte sie und sah sich um. Ich nickte nur. "Ja. Gefällt es dir? ", fragte ich und rieb mir mein Kinn. Sie zog eine Schnute und überlegte. 
"Es ist sehr interessant", meinte sie und sah sich um. Der Raum war eigentlich recht kühl. Weiße Wände und ein paar Regale mit voll gestopften Ordnern. In der Mitte hatte ich meinen Schreibtisch, auf dem ein Stapel Papier lag und meinen Computer. Doch als Michaela sagte, es sei interessant, da war ich mir im Klaren, dass sie sehr intelligent war. Schade nur, dass sie es nichts nutzte. Aber ich würde ihr helfen. 
"Nun, es ist sehr trostlos", erwiderte ich auf ihre Meinung und nahm meinen Kaffee vom Tisch. Sie zuckte nur mit der Schulter. "Wie auch immer", meinte sie uninteressiert und tippte mit dem Fuß. Wir waren beide still und sahen in verschiedenen Richtungen. Es war schon halb vier, als die Tür aufgezogen wurde und drei Mädchen schnaufend hereinkamen. Michaela stand auf und seufzte genervt. Daraufhin bekam sie einen wütenden Blick von Nina zurück.
"Ihr seid zu spät", schimpfte sie und sah wieder zu mir. "Was interessiert mich das", erwiderte Nina bissig und setzte sich ebenfalls drei Stühle weiter. "Mädchen. Hört auf", bat ich und stand auf. Ich reichte jedem der Vier die Hand. Miriam lächelte schüchtern. Katrin rieb sich leicht den Hinterkopf. Alle Mädchen sahen unterschiedlich aus. 
Nina war schlank und hatte blonde kurze Haare. Ihre Augen waren braun. Sie hatte ein Stupsnäschen und ausgeprägte Wangenknochen. 
Miriam war etwas moppelig, hatte schwarze Haare, die bis zur Schulter gingen und leuchtend grüne Augen. Ein Muttermal war auf ihrer Wange und ihre Nase war lang und dünn. 
Katrin hatte rotblonde Haare und diese waren fast immer gebunden. Ihre Augen waren grau und ihr Gesicht wirkte erwachsener als der anderen drei. 
Ich strich mir meine Haare nach hinten und nahm ein weißes Blatt Papier aus der Schublade. 
"So. Nun, die Frage ist erstmals, ob ihr das wirklich wollt?", fing ich an und sah jedes Mädchen prüfend in die Augen. Sie nickten, andere nuschelten ein kleines Ja. Das war schon mal gut. Das Einzige was mich störte, war ihre Unsicherheit. 
"Das heißt aber, dass ihr immer zu erscheinen habt. Ich mag es nicht, wenn sich jemand verspätet", erklärte ich in ruhigem Ton und war mir sicher, dass dies eines der größten Probleme sein würde. Sie mussten immer kommen. Aber jetzt zum Thema.
"Nun. Ich will, dass ihr mir euer Problem erzählt. Nina, du fängst bitte an", sagte ich und nahm mir einen Stift. Ich schrieb ihren Namen auf und notierte mir ein paar Stichworte. 
"Ich habe mich mit meiner besten Freundin wegen eines Jungen gestritten", fing sie an und schon hörte man ein schnauben von Michaela. "Wie dumm kann man nur sein. Auch noch wegen eines Jungen", meinte sie und ich schritt ein. 
"Michaela. Ich mag es nicht, wenn man dazwischen redet. Wenn das noch einmal passieren sollte, dann stelle ich Regeln auf", warnte ich im ruhigen Ton. Michaela blieb ruhig, sah aber nicht gerade zufrieden aus. Nina sah sie wütend an, sprach aber weiter.
"Das Problem an der Sache ist nur, dass mein Freund jetzt in sie verliebt ist und ich in der Schule total schlecht werde. Mein Vater droht mich raus zu schmeißen", sagte sie und wirkte gekränkt. Nickend schrieb ich mir ihr Problem auf und sah sie an.
"Das ist natürlich sehr schlimm, aber darum bist du hier. Wir werden dir helfen", sagte ich und sah zu Michaela. Diese lag fast auf dem Stuhl und hatte ihre Hände egoistisch vor der Brust verschränkt. "Michaela was ist dein Problem?", fuhr ich fort. Sie zuckte die Schulter und sah weg. Das geschah auch sehr oft. Manche Jugendliche schämten sich ihre Schwäche zu zeigen. Es war ein Selbstschutz. Ich nickte nur. 
"Na gut. Später", sagte ich und sah rüber zu Miriam. "Was ist dein Problem?", fragte ich und sah sie an. Miriam bekam Tränen in den Augen, schaffte es aber, sie für sich zu behalten. 
"Ich werde gemobbt", meinte sie leise und an ihre Stimme konnte ich erkennen, dass sie kurz davor war zu weinen. Ich schrieb es mir auf. In diesem Moment sprach Michaela wieder.
"Du lässt dich ja auch zum Opfer machen", sagte sie. Die drei Mädchen sahen sie mit einem Gemisch von Ärger und Verwunderung an. 
"Misch du dich mal nicht ein. Schließlich hast du nichts gesagt", griff nun Nina an und Michaela schnaubte. "Kümmere du dich lieber um deinen Freund als mir vorzuschreiben, was ich zu tun habe", spie Michaela und Nina stand auf. "Was ist dein verdammtes Problem ", schrie sie. Nun sah Michaela Nina wütend an. Sie stand ebenfalls auf und baute sich bedrohlich auf. Miriam und Katrin zuckten zurück. Nun stand ich ebenfalls auf. 
"Beruhigt euch beide wieder", sagte ich doch es war, als ob ich nichts gesagt hätte. 
"Mein Problem ist, dass du zu blöd bist um zu erkennen, dass kein Typ es wert ist, eine Freundschaft aufzugeben", schrie Michaela. Katrin war mehr als wütend und sofort verstummte alles. Das Wichtige bei solchen Sachen war, dass man die Person mit dem Problem nicht bloßstellen durfte. Michaela sah Nina perplex an. Sie hatte ihr eine Ohrfeige gegeben. 
"Du weißt nichts über mich. Also tu mir den Gefallen und verschwinde einfach", sagte Nina und setzte sich wieder. Michaela stand nur da, tat nichts. "Michaela setze dich bitte", bat ich sie leise. Sie sah mich erschrocken an. "Lasst mich doch alle in Ruhe", schrie sie und nahm ihre Sachen und verschwand. Nachdem die Tür verschlossen war, setzte ich mich wieder. Sie zurückzuholen war keine Lösung. Michaela war einfach zu wütend und musste sich erst einmal abreagieren. Ich sah zu Katrin. "Was ist dein Problem?", sagte ich und machte einfach so weiter, als ob nichts geschehen war. "Wollen sie ihr nicht nachlaufen? ", fragte mich Katrin und sah mich abwartend an. Ich schüttelte verneinend den Kopf. "Warum?", mischte sich nun auch Miriam ein. "Ich meine. Es ist doch ihre Aufgabe so etwas zu tun", meinte nun auch Nina. Ich legte meinen Stift zur Seite. 
"Es ist ihre Entscheidung. Wenn sie nicht will, dann kann ich sie nicht zwingen", sagte ich und die Mädchen nickten nur verstehend. "Ergibt auch Sinn", sagte nur Nina und zuckte mit der Schulter. Katrin nickte ebenfalls, aber ich sah zu Miriam. Sie machte sich extreme Sorgen um Michaela. Aber dazu würde ich später noch kommen. 
"Nun Katrin. Erzähl mir noch dein Problem", bat ich und fuhr fort. Ich erfuhr von ihr, dass ihre Eltern sich weigerten sie auf die Realschule zu schicken. Das war schwer, denn die Eltern mit in das Gespräch zu holen, kostete mich Zeit und Stress. Nicht jede der Eltern waren freundlich und ließen einem die Meinung sagen. 
"Na gut. Nun habt ihr euer Problem erzählt. Wie fühlt ihr euch?", fragte ich. "Schon besser", kam es von allen drei gleichzeitig. Das war mehr als gut. "Ich freu mich. Wenn das so weiter geht, dann werdet ihr euer Problem bald gelöst haben", erklärte ich und lächelte die Mädchen aufmunternd an. "Zu euerer Aufgabe. Jeweils zwei von euch werden sich zusammen tun und ihrer Gefühle miteinander austauschen", erklärte ich. Die Mädchen nickten. "Ich würde vorschlagen, dass Nina und Katrin eine Gruppe bilden und Miriam und Michaela, eine andere", sagte ich und schrieb mir die Namen auf. "Und was wenn Michaela nicht mitmacht?", fragte Nina und sah mich interessiert an. Nun, ich hoffte sie würde mitmachen. "Wir werden schauen. Dann muss ich etwas anderes mit euch machen", meinte ich und machte mir die Notizen. Es war mittlerweile schon halb sechs. Ich stand auf und verabschiedete mich mit einem Händedruck. "Macht das bitte bis Freitag", sagte ich, während die Mädchen die Tür aufmachten. "Wiedersehen Rino", verabschiedeten sich die Mädchen. Ich packte meine Sachen, als ich eine Gestalt vor mir sah. Ich blickte erneut auf und sah Miriam vor mir stehen. 
"Herr Rino?", fragte sie und ich nickte nur. "Was ist los?", fragte ich und diese überlegte kurz. "Bitte sorgen Sie dafür, dass Michaela wieder kommt okay?", bat sie mich. Ich lächelte sie beruhigend an. "Werde ich machen. Tschüss", sagte ich. Miriam lächelte leicht, verschwand dann. Es freute mich für Michaela, dass wenigstens ein Mädchen mit ihr klar kam. Ich musste schauen wie ich es machen würde. Michaela war klug, sogar klüger als sie aussah. Das Problem war aber, dass es schwer war, sie zu bitten, das alles mitzumachen. Ich saß auf meinem Schreibtisch und las mir nochmals die Probleme der Jugendlichen durch. Es war nach Mitternacht und ich war müde. Aber ich musste etwas tun. 
"Rino, es ist schon nach zwei Uhr morgens. Komm bitte ins Bett", bat mich Lisa und massierte mir leicht die Schulter. "Du kannst Morgen weiter machen", schlug sie vor und es war keine schlechte Idee. Ich fuhr den PC herunter und ging müde ins Bett. 
Aber selbst als meine Frau schon wieder schlief, konnte ich nicht schlafen, denn der Fall der vier Mädchen machte mich nervös. 
 
Kapitel 06: Ausweg

Ich saß auf der alten Schaukel an unserem Spielplatz und sah das trübe Wetter an. Viele Wolken verdeckten den blauen Himmel. Es wirkte sehr melancholisch und meine Laune sank noch mehr, als sie es schon war. Warum konnte ich nicht einmal stark bleiben und mich wehren? Sich zu schlagen, war sehr einfach, jedoch nicht bei Erwachsenen. Marius hatte mich gebeten, mir helfen zu lassen und im Grunde wollte ich das auch. Ich hatte es satt jeden Morgen aufzustehen und das gleiche Gefühl der Leerheit in mir zu tragen. Ich konnte wirklich nichts genießen. Es gab nichts in meinem Leben, das schön war. Etwas, das mir Hoffnung gab. Daher zog ich mich zurück und bis heute war Marius der Einzige, der zu mir stand. So oft hatte ich ihn angeschrien und ihm gesagt, er war es nicht wert. Aber ich mochte ihn und kam immer wieder zu ihm zurück. Kevin, Max und Jonas waren zwar auch gute Kerle, aber mit ihnen konnte ich nicht so reden wie mit Marius. Er war mehr als ein Bruder für mich und manchmal kam ich mir so dumm vor. Ich ließ mich immer zu sehr provozieren und ließ meine Wut an ihm aus. Und er stand noch immer zu mir. Dazu kam noch, dass Rino Rheinhard sehr nett war. Ich war es nicht gewohnt, so viel Nettigkeit um mich zu haben. Im Alter von 13 musste ich feststellen, dass das Leben nicht einfach war. Die Türen wurden dir nicht einfach so geöffnet. Du musstest immer etwas tun, um es dir zu verdienen. Und da ich keinen Vater hatte, weil dieser Idiot, meine Mutter verlassen hatte, als sie noch schwanger war, musste ich mit weniger Sachen im Leben klarkommen. Ich bekam Verpflegung und Kleider zum Anziehen, jedoch nicht etwas, was mir gefiel. Meine Mutter war ein sehr offener und direkter Mensch und hatte sehr viele Freundinnen. Da bekam sie immer Klamotten, die ich dann anziehen musste. "Die sind doch nicht kaputt. Die Bluse von Inka ist noch neu", sagte sie locker und gab mir den hellgrünen Pullover. Das führte auch dazu, dass ich Grün über alles hasste. Seit dem bevorzugte ich immer dunkle Farben. Ich war schließlich auch ein dunkler Mensch. Viele meiner Klassenkameraden nannten mich gefühllos und männlich. Ich war einfach komisch. Aber niemand wusste, wie ich wirklich war. Denn ich konnte auch nett sein. Ich konnte zu jedem Menschen fröhlich sein und höflich. Es gab aber nie einen Grund für mich so zu sein. Denn keiner meiner Mitmenschen zeigte mir gegenüber Respekt. Daher beschloss ich, eine Mauer um mich herum zu bauen und niemanden an mich heran zu lassen. Mehrmals wurde ich verletzt, nur weil ich nachgab und Freunde haben wollte. Zum Beispiel in der 5. Klasse. Ich hatte mich mit ein paar Mädchen aus meiner Klasse verabredet. Wir sollten uns alle an diesem Spielplatz treffen. Ich war als Erste da und wartete zwei Stunden. Als ich merkte, dass sie nicht kommen würden, war es aus mit der Freundlichkeit. Seit dem, kam ich immer hierher, wenn es mir schlecht ging. Zu diesem Spielplatz kam niemand oder versteckte sich zwischen kleinen Gebüschen. Das war sozusagen ein privates Versteck. Es war etwas tröstend, auch wenn jetzt eine mehr als depressive Stimmung herrschte. Nur dieser alte Spielplatz gab mir Hoffnung und Vertrauen, weil mich hier niemand verletzten konnte. Hier konnte ich meinen Wünschen nachgehen und lächeln. Ich lachte für gewöhnlich nicht viel. Aber hier war ich einfach ein anderer Mensch. Ich sah zum Himmel hoch und schloss die Augen, nahm tief Luft und meine Lungen füllten sch mit Regenluft. Das machte mich wach und ein kleines Kribbeln erschien in meinem Bauch. "Michaela", hörte ich eine mir bekannte Stimme und sofort öffnete ich meine Augen. Die Freude und das Glücksgefühl verschwanden sofort, als ich Miriam sah. Wut stieg in mir stattdessen auf, denn sie hatte hier nichts verloren. Und ich ahnte bereits, woher sie wusste, dass ich hier war. "Marius hat es mir gesagt", beantwortete sie meinen nicht ausgesprochenen Verdacht .Etwas in meinem Blick musste sie das sagen gelassen haben. 
"Was willst du?", fragte ich bissig und setzte mich auf. Eigentlich durfte ich nicht so wütend sein, vor allem, da Miriam mir nichts getan hatte. Aber es war nun mal so. Sie trat in meinen privaten Raum ein. Miriam zuckte nicht zurück, was mich etwas wunderte, denn eigentlich war sie ja sehr schüchtern. Hatte Rino sie so schnell verändert? 
"Es tut mir leid, dass ich dich störe, aber ich wollte mit dir über etwas Wichtiges sprechen", entschuldigte sie sich doch tatsächlich und sah mich auch so entschuldigend an. Da musste ich etwas lächeln. Ein kleines scheues Lächeln umspielte meine Lippen und ich schüttelte den Kopf. Das konnte doch nicht wahr sein. Niemand hatte sich je bei mir entschuldigt. 
"Schon okay. Sag einfach, was du willst", erklärte ich knapp und sah sie neugierig an. Es interessierte mich zu wissen, was in dem Kopf des Mädchens vorging. Miriam lächelte nicht, doch in ihren Augen konnte ich lesen, dass sie doch zufrieden war, dass ich mir Zeit für sie nahm. Das war ja eigentlich ganz nett von ihr, aber sicher war ich mir nicht. Eine Menge Leute erscheinen dir zuerst sympathisch und am Ende stellte sich immer heraus, dass diese die Schlimmsten waren. Miriam setzte sich neben mich auf die Schaukel und spielte eine Weile stumm mit ihren Händen. Es zeigte mir, dass sie nervös war, was ich nicht verstehen konnte. "Miriam, wenn du etwas sagen willst, dann mache das auch bitte", verlangte ich, achtete aber auch darauf, es nicht so egoistisch klingeln zu lassen. Miriam sah auf, lächelte nervös und ließ ihre Hände los. Ich war nun mehr als gespannt zu erfahren, was sie mir sagen wollte. Sie überlegte noch einen Moment, ehe sie mich ansah und laut sprach:
"Ich will, dass du wieder zu uns zurückkommst", bat sie freundlich und sah mich erwartungsvoll an. So leid es mir auch tat, ich konnte nicht. Nicht nur, da es peinlich wäre, denn immerhin war ich abgehauen und meinte, sie sollen mich in Ruhe lassen. Andererseits verstand ich mich mit Nina nicht so gut und würde dies weiter der Fall sein, so würden wir uns prügeln und ich hatte keine Lust eine weitere Strafanzeige zu bekommen. Langsam schüttelte ich verneinend den Kopf. Miriam sah enttäuscht aus und es tat mir schon fast leid, denn sie war wirklich nett. Ich konnte nicht, denn ich wusste, wie sie alle über mich denken würden. "Oh die arme kleine Michaela, hat Probleme und kann sie nicht alleine lösen", würden sie denken. "Sie ist so schwach", lachten die anderen. Also vergaß ich den Gedanken gleich daran. "Warum?", fragte Miriam mich und sah mich traurig an. Hätte wissen müssen, dass sie es fragt. Ich seufzte, rieb mir die Augen. "Es ist zu kompliziert", sagte ich und sah sie an. Ihr zu erzählen ich würde mir Sorgen machen, was die anderen über mich denken würden, wäre zu blöd. Das würde bedeuten, dass ich nachgab und schwach war. "Erkläre es mir doch", schlug sie leise vor. Und das machte mich wieder aggressiv, denn sie drängte mich etwas zu machen, was ich nicht wollte. "Geht nicht und jetzt hör auf, mich zu bitten. Ich will einfach nicht", machte ich sie blöd an und bereute es im nächsten Moment. Miriam wandte den Blick ab und blieb ruhig. Verdammt ich fühlte mich mies, konnte einfach nicht verstehen, wie sie sich für mich interessieren konnte. Ich war doch sowieso alleine. Mitgefühl oder Mitleid wollte ich auch keins haben. Ich brauchte nichts. Nur ich selber konnte mir vertrauen. "Entschuldige", flüsterte sie und stand auf. Ich seufzte, denn ich fühlte mich noch miserabler. "Miriam", stöhnte ich genervt auf. Sie sah mich an und lächelte traurig. "Michaela ist doch egal. Nicht böse gemeint, aber ich dachte du wärst bereit dein Leben zu ändern. Aber wie es scheint, bist du nicht bereit und ich kann es sogar verstehen. War trotzdem schön mit dir gesprochen zu haben. Auch wenn es nur kurz war", meinte sie und verschwand dann. Ich blieb zurück und sah ihr nur so lange hinterher, bis sie endgültig verschwand. Das, was ich nun fühlte, war ganz anders. Einerseits empfand ich Wut und Traurigkeit, die ich immer fühlte. Andererseits war aber auch Hoffnung, Aufrichtigkeit und vor allem Fröhlichkeit zu spüren. Und das lag nur daran, da Miriam ehrlich zu mir war. Sie tat das alles nicht um mich zu verletzten. Ich vertraute ihr. Ich wusste nicht, warum, aber irgendetwas in ihren Augen zeigte mir, dass ich auf sie hören sollte. Ich stand auf und sah mich um. Zwischen den Wolken hatten sich ein paar Sonnenstrahlen gebildet und ich lächelte. Es war so, als ob sie mir Mut und Hoffnung machten. Ich rannte aus dem Park heraus, über die kleine Straße rüber zu der Straße, auf der ich Miriam von Weitem sah. Sie lief recht langsam und in wenigen Minuten war ich bei ihr. "Hey", schnaufte ich und Miriam drehte sich überrascht herum. Ich lächelte leicht und lief nun neben ihr her. "Was gibt es?", fragte sie noch immer überrascht. Ich nahm tief Luft, um besser zu Atem zu kommen. "Ich mach mit", seufzte ich zwischendurch und Miriam stoppte. Sie sah mich freundlich an. "Ist das dein Ernst?", meinte sie und ich nickte. 
"Ja natürlich. Ich will mir helfen lassen", erklärte ich. Es ging mir sehr gut in diesem Moment und ich hatte keine Angst über Miriams Reaktion. Ganz im Gegenteil. Ich war sogar sehr überrascht, denn diese umarmte mich sofort und schrie glücklich auf. In diesem Moment war ich mehr als froh, denn ich konnte schon sagen, dass ich und Miriam Freunde werden würden.
 
Kapitel 07: Versuche

Nina, Miriam, ich und Katrin saßen in Rinos Büro und unterhielten uns. Es waren nun schon drei Wochen her, dass mich Miriam mitgeschleppt hatte. Ich versuchte mich zu bessern. Marius war stolz auf mich, so dass ich immer verlegen wurde, wenn ich aus Rinos Büro kam und er mich sofort umarmte. Das war komisch, denn die anderen Mädchen sahen mich an und es war mir peinlich. Schließlich wartete niemand auf die Drei. Egal wie verlegen ich war, ein Stück in mir war auch froh darüber. Es gab schließlich jemanden, der zu mir stand, der mich erwartete. Mit Katrin hatte ich mich auch halbwegs vertragen, nur ab und zu stichelten wir uns an oder sprachen mit dem Hauch von Ironie in unseren Sätzen. Sie war ja ganz in Ordnung, nur bei manchen Sachen, konnte wir uns niemals einig sein. Sie empfand Jungs immer noch wichtiger als ihre Freundin. Das konnte einfach nicht sein, doch sie konterte damit, dass der Junge auch ein Mensch mit Gefühlen war. Da es uns nicht weiterbrachte, vermieden wir dieses Thema einfach und begannen uns über andere Themen zu unterhalten. Sie war recht nett, aber dies laut zugeben würde ich nicht, noch nicht. Miriam war stets an meiner Seite und immer da für mich. Auch dies zeigte mir, dass sie immer für mich da war. Wir wurden in kürzester Zeit Freundinnen und ich besuchte sie sogar daheim. Ihre Eltern waren sehr nett und stellten auch keine Fragen. Sie genossen einfach meine Gegenwart und erzählten sich lustige Geschichten. Bei ihr zuhause fühlte ich mich wohl und nachdem ich gehen musste, hatte ich mir geschworen auch so zu werden. Nina und ich sprachen nicht viel, aber wir begrüßten uns und wechselten drei Worte. Sie war nett, nicht wirklich der Typ Mädchen, mit dem ich gerne rum saß, doch auch nicht das Gegenteil. Mit ihr war das so normal. Als ob ich einen Freund sehen würde. Rino selbst aber war der Beste. Er half uns am Anfang, indem er Termine vereinbarte und mit uns über unsere Probleme unter vier Augen sprach. Wir konnten alles genauestens sagen und erklären, wie wir uns fühlten. Und selbst ich hatte gesagt, was ich fühlte. Er sah mich an, nickte und an seinen Augen konnte ich lesen, dass er mich wirklich verstand. "Es ist gut, dass du alles raus lässt", meinte er ruhig und ich musste sogar fast in Tränen ausbrechen. Er war so mitfühlend und immer für einen da. Er gab uns allen seine Handynummer und wir durften anrufen, wenn es uns nicht gut ging. Ich stellte ihn einmal auf die Probe, indem ich ihn um zwei Uhr morgens - mitten in der Nacht - anrief und panisch über ein Problem sprach. Seine Reaktion versetzte mich in Staunen. Er war bereit und konnte reden. Normalerweise dachte ich, die Sozialarbeiter taten dies nur, weil sie das Geld haben wollten, doch - es wohl nicht so. Er tat es wirklich weil es ihm Freude bereitete Schülern und allgemein Jugendlichen zu helfen. Seit dem Tag fiel es mir auch einfacher mit ihm zu reden. Auch in den Pausen, als ich ihn sah, begrüßte ich ihn und er war immer mit einem Lächeln im Gesicht. Auch wenn er mal schlecht gelaunt war oder müde, uns gegenüber hatte er nicht einmal geschrien. Er rieb sich die Stirn und seufzte leise vor sich hin und als wir ihn fragten, ob er nicht in Ordnung war, meinte er nur, dass er müde wäre, doch dies sei kein Grund aufzuhören. Er blieb konzentriert und lächelte sogar ein Stück. Damit bewies er uns in diesem Moment, dass er trotz eigener Probleme zu uns stand.
Alle Mädchen nahmen sich vor, an diesem Tag sich zu bessern. 
Wir hatten Zeit uns miteinander besser vertraut zu machen und uns zu treffen. Das taten wir auch und anfangs traten immer winzig kleine Probleme auf. Mal wollten Katrin und Nina Kaffee trinken gehen und manchmal wollten ich und Miriam einfach spazieren gehen, doch zum vierten Mal einigten wir uns, uns ständig abzuwechseln. 
Es war der Tag, an dem wir Übungen von Rino bekamen. Wir sollten uns alle in andere Situationen versetzen. Das hieß, ich musste mich in Miriams Lage versetzen und sie in meine. Das war schwerer als gedacht, denn ich und Miriam waren genau das Gegenteil. Sie war schüchtern, sprach nicht viel und wehrte sich nicht. Ich aber war laut, sagte meine Meinung und schlug mich auch mit dem einen oder anderen. Bei Nina und Katrin war das sehr einfach. Sie hatten nicht wirklich ein Riesenproblem. Ich meine, sich für einen Junge streiten oder nicht den Mut haben, seinen Eltern die Meinung zu sagen, war nicht so schlimm, wie Gewalt und Mobbing. Darüber musste jeder seine Gefühle aufschreiben und sie Rino vorlesen. Ich saß abends an meinem Schreibtisch und kratze meinen Kopf mit dem Bleistift. Es war mehr als schwer und ich hatte gar nichts. Vorhin sprach ich mit Miriam und ihr Aufsatz war fast schon fertig. Aber wie versetzte man sich in eine andere Lage? Wie konnte ich mich plötzlich um 180 Grad drehen? Das ging nicht und das konnte auch niemand. Dafür musste man Schauspieler sein und so was konnte ich erst recht nicht, dafür war ich zu ehrlich.
Ich seufzte frustriert auf und hörte meine Tür aufgehen. Sofort drehte ich mich um und sah meine Mutter an der Tür stehen. Sie trug noch ihre Jacke und ich wusste, sie kam erst jetzt von der Arbeit. Ihre Augen waren müde, doch sie lächelte leicht.
"Brauchst du Hilfe Spatz? ", hatte sie gefragt und trat ein. Ich lehnte mich zurück und nickte. Sie kam zu mir und sah mir über die Schulter.
"Was musst du denn machen?", fragte sie mich interessiert und zog ihre Jacke aus. Ich fing an ihr zu erzählen, dass ich mich in eine andere Person reinsteigern musste und dass dies schwer war. Sie lächelte, setzte sich auf mein Bett und sah mich verschwörerisch an. 
"Ich kann dir helfen", fing sie an und lächelte nun aufrichtiger. Ich erwiderte ihr Lächeln automatisch und hörte gut zu, was sie zu sagen hatte. 
"Schließe deine Augen, versuch deinen Körper zu entspannen und denke an die Person, die du darstellen willst", meinte sie. Ich tat dies und fühlte mich total locker. Dann hörte ich meine Mutter wieder sprechen. "Also stell dir vor, dass du genau diese Person bist, das heißt, dass du schüchtern bist, oder dass du ängstlich bist. Du musst nicht genau das spüren, du musst nur ein Bild vor Augen bekommen", ergänzte sie und tatsächlich hatte ich eine Veränderung in mir verspürt. Ich sah Leute vor mir, die mich komisch ansahen und ich spürte eine Art Angst, die in mir aufflammte. Es war nicht ein Gefühl aus dem Bauch heraus. Man könnte sagen es war vom Gehirn aus so. Ich hatte nicht wirklich Angst, doch ich sah mich selber in Gedanken, wie ich mit gesenktem Kopf durch die Schülermasse lief. Fast wie in einem Film, nur dass ich wusste, was das Mädchen durchmachte. Das Gefühl prägte ich mir ein und öffnete meine Augen. Meine Mutter saß mir gegenüber und sah mich erwartungsvoll an. 
"Woher kannst du das? ", fragte ich sie und sie stand auf. "Ich hatte mal ein paar Schauspielerkurse gemacht. Das hilft dir immer", meinte sie und zwinkerte. Ich grinste sie dankend an und sie verabschiedete sich mit einem Kuss aufs Haar. Als die Tür zugemacht wurde, fing ich sofort an zu schreiben und änderte etwas an meinem Schreibstil. Ich schrieb es nicht auf wie eine Geschichte oder einen Brief. Ich schrieb es in Sätzen. Ob das gut war, wusste ich nicht, aber Rino hatte uns gesagt, dass es egal wäre, ob es ein Brief war oder eine Geschichte. Es sollte uns nur helfen.
Am nächsten Tag ging ich zu Rinos Büro und klopfte an die Tür. Mit einem "Herein" öffnete ich sie und sah die restlichen Mädchen schon sitzen. "Da bist du ja endlich. Und wir dachten du kommst nie", meinte Katrin und lächelte boshaft. Statt mich aber aufzuregen, wusste ich, dass sie es zum Spaß sagte. Man lernte die Leute kennen und ich akzeptierte sie auch mit ihren Fehlern. Sofort setzte ich mich hin und nahm mein Blatt heraus. Rino nahm ein Taschentuch und wischte sich die Nase ab. Es ging ihm von Tag zu Tag schlechter und das machte mir Sorgen. Aber es ihm sagen, würde ich nicht, denn ich konnte das einfach nicht. Er schmiss das gebrauchte Taschentuch weg und sah uns an. 
"So, wer möchte zuerst anfangen?", fragte er uns und Nina hob sofort die Hand. Rino nickte und wir sahen alle zu Nina. Sie nahm ihr Blatt heraus und fing an zu lesen. 
"Ich kann mich in Katrins Lage sehr gut versetzen. Ich habe einen Druck im Magen, der mich zu ersticken droht. Meine Atmung geht schnell und flach, meine Hände schwitzen, denn ich habe Angst, Ärger für meine Entscheidungen zu bekommen. Immer versuche ich die Gespräche mit meinen Eltern zu vermeiden und schaffe es gerade noch so. Ich gebe ihnen falsche Versprechen und fühle mich miserabel, denn ich will sie nicht belügen. Und trotzdem fühle ich mich besser, wenn ich es tue. Ihre frohen Gesichter zu sehen und anschließend in Frieden gelassen zu werden. So gut es auch tut, die Angst vergeht nicht. Es ist ein Hin und Her und manchmal mehr als verwirrend. Jedoch kann ich sagen, dass ich versuchen werde, offen mit ihnen zu reden. Denn es ist mein Leben und meine Entscheidung, was ich mache. "
Wir klatschen alle und Katrin umarmte Nina. "Das war sehr gut Nina", meinte Rino und fragte, wer nun weiterlesen wollte. Katrin hob dieses Mal die Hand und begann zu lesen.
"Ich bin nicht froh darüber, was ich getan habe. Meine Freundin ist und bleibt meine Freundin und kein Junge sollte zwischen uns stehen. Aber wenn der Junge einem dem Atem raubt und mir das Gefühl gibt, immer wichtig für ihn zu sein, so kann ich mich nicht entscheiden, wer mir wichtiger ist. Ich war Schuld, ich habe sie beiseite geschoben, doch sie konnte mich aufklären, mir sagen, dass es falsch war, was ich tat und bei mir sein. Der Junge ist nun fort und ich stehe alleine da. Wenn sie meine Freundin wäre, so müsste sie bei mir sein und mit mir reden, denn jetzt höre ich zu. Jetzt bin ich wieder ich und jetzt kann ich auch verzeihen und mich entschuldigen. Doch sie ist nicht da. Ich bin verletzt und doch habe ich die Kraft weiterzumachen, und auch ohne sie leben."
Auch dieses Mal klatschen wir und Rino lächelte sanft. "War es schwer für dich so etwas zu schrieben? ", fragte er und Katrin schüttelte verneinend den Kopf. "Ich denke ich und Nina sind uns einfach ähnlich", meinte sie und Nina lächelte sie an. Nun meldete sich Miriam freiwillig und Rino freute sich sichtlich darüber, dass sie den Mut hatte, dies zu tun.
"Ich bin nicht wie die anderen Mädchen. Ich bin komisch. Aber gerade das macht mich so außergewöhnlich. Ich bin nicht alleine, ich brauche keine Hilfe, weil ich stark genug bin, alles alleine zu machen. Und das ist auch das, was ich will. Ich will auf eigenen Beinen stehen und mich wehren. Ich scheue mich nicht, zurückzuschlagen, der mich oder meine Familie beleidigt. Ich habe keine Angst vor niemanden, denn niemand kann mir das Wichtigste auf der Welt nehmen. Denn ich habe Mut, Vertrauen und bin hartnäckig. Ich kann für meine Ziele kämpfen und ich kann jeden schützen, der mir etwas bedeutet. Ich bin komisch, aber auf eine gute Art und Weise.
Ich mische mich überhaupt nicht ein. Redest du mit mir normal, so verhalte ich mich auch dir gegenüber normal. Bist du gemein und hinterhältig, so lernst du mich erst richtig kennen. Das ist eigentlich nicht richtig, doch es gibt mir Selbstvertrauen, wenn ich mich selber schützen kann. Und das schätze ich."
Ich war gerührt. Denn Miriam hatte alles auf den Punkt getroffen. Ich war so und in jedem Satz konnte ich mich identifizieren. Alles, was sie las, war, als ob sie es aus meinem Leben entnommen hatte. Ich umarmte sie und wusste nicht mal warum. Sie war meine Freundin und zum ersten Mal war ich fröhlich. Zum ersten Mal fühlte ich mich normal und zum ersten Mal zählte es, wie ich als Mensch war. Sie alle sahen mein Innerstes und nicht Äußerliches.
"Michaela, bist du soweit? ", fragte mich Rino und gab mir mit einer Handbewegung zu verstehen, dass ich anfangen sollte. Nickend, faltete ich den Zettel auseinander und begann zu lesen.
"Ich betrete den Raum und Blicke kleben an mir,
mein Körper zittert, ich ersticke, alles wegen dir. 
Die Verachtung, der Hass, ich nehme tief Luft.
Du ziehst mich ins Verderben, wie in eine Gruft.
Doch dann sehe ich Licht, fast wie das eines Engels, 
es zieht mich heraus und weg sind die Schmerzen. 
Ich habe den Mut um mich zu wehren, 
Ich brauche niemanden, denn ich habe drei Freundinnen.
Katrin, Nina und Miriam, das sind die Engel, das sind die Helfer.
So brauche ich keine Angst mehr zu haben, 
denn so lange ich sie neben mich sehe, 
ist all die Angst und all der Kummer schon verschwunden. "
Ich sah die vier Augenpaare an und völlige Stille war zu hören. Rino sah mich mit einem Gemisch aus Verwunderung und Besorgnis an. Die Mädchen sahen mich beeindruckt an und in Sekunden waren alle drei um mich und umarmten mich. Und selbst Rino sah mich an und ich sah Stolz in seinem Blick. Stolz auf mich und meinem Gedicht.
Kapitel 08: Freude

Alle vier sahen mich an und Rino stand auf. "Michaela, das war wunderschön", sagte er und verschränkte die Arme hinter seinem Rücken. Ich lächelte und freute mich über seinen Kommentar. Er drehte sich herum und blickte uns an. "Wie ich sehe, habt ihr Fortschritte gemacht. Ich möchte, dass ihr stark bleibt und immer an euch glaubt", bat er uns und wir waren uns mehr als sicher, dass wir das machen würden. Nickend gaben wir ihm unser Versprechen und er lächelte. "Es könnte nämlich sein, dass ich bald nicht mehr da bin", erklärte er und ich runzelte die Stirn. Er sagte es so traurig, dass es mir Sorgen bereitete. Es war natürlich klar, dass er nicht bei uns sein konnte, aber er würde ja nicht sofort gehen. Er war noch jung. Er gab uns auch nie einen Grund daran zu zweifeln. 
"Also, die letzte Aufgabe wird sein, euch euren schlimmsten Ängsten entgegen zu stellen", erklärte er und uns war allen sofort klar, was das hieß. Nina musste mit ihrer besten Freundin reden, Miriam, musste es mit dieser Saskia aufnehmen (wir hatten uns etwas besser über unsere Probleme unterhalten), Katrin musste mit ihren Eltern sprechen und ich musste endlich aufhören, so einen Scheiß mit Marius abzuziehen. 
"Na gut", erklärte Katrin und Rino lächelte. "Versucht es, und wenn ihr es geschafft habt, dann sagt mir Bescheid", bat er und wir nickten wieder. Wir verließen den Raum, doch ich blieb zurück, sagte den Mädels, dass sie schon vorlaufen konnten. Langsam trat ich an Rinos Tisch und sah ihn an. Er hatte seinen Kopf auf seine Hände gelegt und schien nachzudenken. 
"Rino?", fragte ich und er sah auf. Schnell wischte er sich etwas vom Auge und rupfte die Nase. "Was ist denn los Michaela?", fragte er und ging zu seinem Fenster. Ich überlegte, wie ich anfangen sollte, denn es war mir unangenehm mit ihm darüber zu sprechen. Es war daher etwas komisch, da ich niemals so privat mit jemand geredet hatte. 
"Warum wirst du nicht da sein?", platzte es aus mir heraus und er sah mich ertappt an. Es war doch klar, dass etwas nicht in Ordnung war. Er rieb sich die Stirn. 
"Weil ich zum Arzt muss", erklärte er präzise und setzte sich. Ich tat es auch und tippte ein paar Minuten auf den Tisch, so, dass dies das einzige Geräusch war. Anschließend sprach ich aber doch. Es machte mir immer mehr Sorgen. 
"Aber du warst bist jetzt nie krank", sagte ich - er lächelte scheu. "Vielleicht habe ich es nicht gezeigt", verriet er und strich sich über die grauschwarzen Haare.
"Was hast du?", flüsterte ich besorgt und er atmete aus. 
"Ich war auch mal jung und habe Sachen gemacht, auf die ich nicht stolz bin", meinte er und ich ließ ihn in seiner Erinnerung schwelgen. 
"Ich hoffe du wirst schnell gesund", sagte ich und er sah mich an. "Das hoffe ich auch", neckte er mich und sah mich mitleidig an, ehe er lachte. 
"Auf Wiedersehen", sagte ich und verließ sein Büro. Etwas stimmte nicht und es war das erste Mal, dass ich um jemanden außer meiner Mutter und Marius Angst hatte. 
Langsam lief ich nach Hause und traf auf dem Weg Marius. "Na, heute Abend wieder auf Patrouille?", fragte er und ich schüttelte verneinend den Kopf. Er stoppte und griff nach meinem Handgelenk um mich ebenfalls zu stoppen, da ich einfach weiter lief. 
"Was dann?", meinte er und ich zuckte mit der Schulter. "Gar nichts", meinte ich und wollte mich von seiner Hand losreißen. Er ließ mich nicht frei und zog mich enger zu sich. 
"Marius was willst du?", fragte ich und er seufzte, als er mir zu nah war. 
"Ich will dich, schon seit drei Jahren und es macht mich fertig, dass du es nicht gewusst hast. Warum denkst du, habe ich das alles gemacht? Um dir beizustehen, weil ich dich mag", sagte er etwas lauter als gewollt. Ich sah ihn mit aufgerissenen Augen und Mund an. Er schluckte, sah mich an und seine braunen Augen bohrten sich in meine. Und im nächsten Moment lagen seine Lippen an meinen und seine Hände umfassten mein Gesicht. Dass Marius so für mich empfand wusste ich nicht. Langsam hob ich meine Hände, doch anstatt ihn wegzudrücken, wie ich es bei jedem anderen tun würde, umarmte ich ihn und zog ihn zu mir. Wir konnten es probieren. Außerdem wäre es etwas Neues. Er hatte mir geholfen und ich vertraute ihm. 
"Gehen wir", sagte Marius und nahm meine Hand. Wir liefen zusammen zu mir nach Hause.
"Ich habe Angst um Rino", sagte ich und sah auf die Wand. Marius spielte mit meinen Haaren, da ich auf seinem Bauch lag. "Warum?", fragte er und ich zuckte mit der Schulter. Ein kurzes Aufseufzen ließ mich lächeln. Marius wollte immer wissen, was ich zu etwas dachte und somit regte er sich auf, wenn ich nichts sagte. 
"Er meinte, es ginge ihm nicht gut. Und ich habe Angst, dass er vielleicht stirbt", flüsterte ich und Marius Hände stoppten, ließen mein Haar aber nicht los.
"Hoffen wir mal, dass es ihm gut geht", sagte er und zog mich neben sich hoch. Ich lag auf der Seite und sah ihn an. Seine Augen sprühten Vertrauen und Wärme aus und es ging mir gleich besser. Ich umarmte ihn, kuschelte mich an ihn und schloss die Augen.
Tage waren vergangen und wir hatten nichts von Rino gehört. Katrin und Nina hatten mal angerufen und seine Frau hatte gesagt, er sei noch in der Station. Seit dem Abend, machten wir uns immer mehr Sorgen, denn auch seine Frau sprach nicht gerade entspannt. Also entschlossen wir uns, ihn zu besuchen. Miriam Mutter brachte uns alle zum städtischen Krankenhaus und wir rannten fast bis zu seinem Zimmer. 
Er saß da und sah mehr als gesund aus. 
"Mädels, was habt ihr vor?", fragte er überrascht, als wir alle vier mit Blumen vor ihm standen. "Wir haben uns um dich Sorgen gemacht und wollten sehen, ob es dir besser geht", erklärte Miriam und gab ihm den Blumenstrauß. Rino nahm ihn dankend an und auch wir restlichen gaben ihm unsere Blumen.
"Erzählt mir, wie ist es gelaufen, habt ihr eure Ziele erreicht", fragte er und wir nickten alle mit einem Schmunzeln. Denn das hatten wir in der Tat, dank ihm. 
"Ich habe mit Natalie geredet und mich bei ihr entschuldigt. Sie hat mir verziehen und den Jungen sehe ich auch nie wieder. Wir sind zwar keine allerbesten Freunde mehr, denn sie hat was mit meinem Ex, aber vertragen haben wir uns", sagte Nina und Rino nickte erfreut. 
"Das finde ich gut, vor allem, dass man sich seinen Fehler eingestehen muss", erklärte er und wir nickten synchron. Er sah rüber zu Miriam. 
"Auch ich habe es teilweise mit Saskia geregelt. Wenn sie mich in Ruhe lässt, dann lasse ich sie auch in Ruhe. Sollte es aber zu einem Problem kommen, werde ich mich nicht verstecken", meinte sie und sah mich verstohlen an. Und natürlich, da Rino alles gleich bemerkte, lachte laut er los. "Michaela, kann das etwas mit dir zu tun haben? ", fragte er und ich zuckte lässig mit der Schulter. "Ich helfe Menschen gerne", sagte ich und machte mit dem Kopf eine wegwerfende Bewegung. Da ich zeigen wollte, dass dies nichts Besonderes war.
"Das hast du aber gut gemacht", lobte mich Rino und sah mich glücklich an. "Was ist mit dir Katrin", fragte er und diese lächelte leicht. "Ich habe mit meinem Vater darüber geredet und ihm erklärt, dass es das ist, was ich will. So schlimm ist er gar nicht und ich erkannte, dass das Problem an meiner Mutter lag. Das Gute ist, dass ich es mit meiner Mutter geregelt habe und ab nächsten Sommer in die Realschule gehen werde", sagte sie und Rino lachte. 
"Da siehst du, dass du keinen Menschen verurteilen darfst. Schau, wie er ist und lerne ihn kennen", ergänzte er und wir nickten. Plötzlich kamen uns Rinos Ratschläge so logisch vor, obwohl wir anfangs bestimmt nur geseufzt hätten. Er sah mich an. Ich lächelte.
"Also ich habe eine Beziehung zu einem Jungen. Ich hab's geschafft", sagte ich und sah zu Nina, die mich angrinste. "Ich helfe meiner Mutter und mache keinen Blödsinn mehr mit Marius. Und ich beginne eine Ausbildung in einem Hotel", sagte ich und hörte auch schon, wie alle gratulierten. Rino wischte sich wieder übers Auge und diesmal war ich mir sicher, dass er weinte. Wir waren ruhig und sahen uns an. Aus uns war mehr geworden, und wir fühlten uns alle wohl. Rino setzte sich etwas besser hin. 
"Ich bin stolz auf euch Mädchen", begann er und erzählte weiter, doch ich hörte nicht zu, denn das, was er gesagt hatte, brannte sich in meinem Gehirn ein. Er war stolz auf uns. Ich hatte diesen Satz noch nie gehört. Man hatte ihn mir nie gesagt und ich wusste es war selbstverständlich von den Eltern, denn die meisten waren stolz auf ihre Kinder. Aber es einmal zu hören, war atemberaubend. Ich war so gerührt, dass ich gar nicht begriff, was ich machte. Es überkam mich einfach.
"Ich werde also in den nächsten Wochen einen kleinen Urlaub machen. Wir fliegen nach Spanien und", doch weiter kam er nicht, denn ich umarmte ihn. "Danke", schluchzte ich und er erwiderte die Umarmung leicht. Auch die anderen Mädchen bekamen Mut und umarmten ihn. Denn wir alle wollten das zu unserem Dank machen. "Du hast uns so sehr geholfen und wir wissen nicht, wie wir es wieder gut machen können", erklärte Katrin und Rino lachte nervös auf. 
"Ich will nur, dass ihr euer Versprechen einhaltet", sagte er und wir alle schworen es.
3 Monate später 
Ich stand vor dem Spiegel und sah mich an. Mein ganzes Leben hatte sich verändert und ich fühlte mich wohl. Der Brief für Rino stand auf meiner Kommode. Ich nahm ihn, packte ihn in meine Tasche und verließ die Wohnung. 
Unten warteten Katrin Miriam und Nina. Ich ging zu ihnen hin und umarmte sie. "Hast du den Brief? ", fragte Nina und ich nickte. "Gehen wir", sagte ich und sofort machten wir uns auf dem Weg zur Post. Wir gaben den Brief ab und sahen uns an. "Und jetzt? ", fragte ich und sah die Mädels an. "Gehen wir zum See und werfen wir ein paar Steine hinein", schlug Miriam vor. Wir liefen alle nebeneinander her und lachten, denn Katrin begann etwas über einen Jungen in ihrer Klasse zu erzählten, das lustig war.
Wir liefen und ich war zum ersten Mal sicher, dass ich hierher gehörte. Es machte mich glücklich und ich konnte mir nicht vorstellen, was jetzt aus mir geworden wäre, wenn Rino nicht bei uns wäre. Er hatte mehr als jeder andere für uns getan, auch wenn er meinte, dass es allein an uns lag. Ich wusste, dass er uns geholfen hat und eigentlich hätte ich erwähnen müssen, dass er der Engel war. Der Engel, der uns hier herausbrachte.
Das Beste, was mich erfreute war, dass dies hier für immer bleiben würde. Und das machte mich mehr als glücklich  
Epilog

Ich saß mit Lisa an einem Strand in Mallorca und schlürfte an meinem Saft. Es ging mir besser und das machte auch meiner Frau nicht mehr zu schaffen. Den Urlaub hatte ich mir mehr als verdient und doch freute ich mich, wieder in Deutschland zu sein. Ich wollte nach den Mädchen schauen und mir versichern lassen, dass alles wieder besser ist. 
Lisa nahm meine Hand und ich sah sie an. Sie lächelte leicht.
"Du denkst an die Mädchen, nicht wahr", fragte sie - ich nickte. "Sie fehlen dir", stellte sie fest und wieder nickte ich, wobei ich mir ein Lachen nicht entgehen ließ. 
"Sehr sogar und ich freue mich, sie wieder zu sehen", meinte ich und sah hinaus zum Meer. Lisa gluckste leise vor sich hin - ich sah sie interessiert an. Ich wusste, sie lachte über mich, denn das tat sie oft.
"Was ist so lustig ", fragte ich. Sie beruhigte sich wieder und griff in ihre Tasche. Sie nahm einen Briefumschlag heraus. Darauf stand Rino. Ich nahm ihn lächelnd an und öffnete ihn.

Lieber Rino,
ich hoffe, dir geht es gut. Katrin, Miriam, Nina und mir geht es gut. Wir gehen gleich mit ein paar Freunden in den See schwimmen. Hoffe du erholst dich in Spanien und kommst fit nach Deutschland. Miriam hat übrigens ihr Problem mit dem Internet-Mobbing geregelt. Saskia fliegt aus der Schule, da Miriam durch Tim endlich in der Lage war, jedem die Wahrheit zu erzählen. Das war echt cool, denn sie war fast wie ein anderer Mensch. Ihre Mitschüler haben sie nun akzeptiert und darüber bin ich mehr als froh. Sie ist meine beste Freundin geworden und das dank dir. Du wirst mehr erfahren, wenn du zurückkommst. Bring uns was mit und sag uns, wie es war...
Ich schreibe dir deshalb, da wir dich hier alle vermissen und wir hoffen, dich bald wieder zu sehen. Sag Lisa einen Gruß und ein riesenfettes Danke. Sie hat mir den Job im Hotel besorgt. Ich habe es erst vor einer Woche erfahren und möchte mich nochmals persönlich bei ihr bedanken, also passt auf euch auf.
Außerdem musst du Nina helfen, denn sie will auch eine Ausbildung bekommen und braucht Hilfe beim Bewerbungsschreiben.
In Liebe
Katrin, Miriam, Nina und Michaela

Ich sah Lisa an, die mir über die Schulter schaute und küsste ihre Wange. 
"Danke", sagte ich und diese lachte leise auf. 
"Sie erinnert mich an unsere Tochter", sagte sie und sah mich warm an.
Sie war wie unsere Tochter und ich freute mich die Mädchen wieder zu sehen.
"Ja, das tut sie".